Pirelli bringt den Cinturato Winter 3 auf den Markt, einen Hochleistungs-Winterreifen für Limousinen und Crossover-Fahrzeuge - Bildnachweis: Pirelli
Virtuelle Entwicklung statt Prototyp-Marathon
Während Autofahrer seit Jahrzehnten zwischen guter Winterperformance und langer Haltbarkeit wählen mussten, behauptet Pirelli nun, diesen Kompromiss mit dem neuen Cinturato Winter 3 endgültig überwunden zu haben. Der italienische Reifenhersteller präsentiert seinen neuesten Winterreifen als Lösung für ein Problem, das die Branche lange beschäftigt: Wie kann ein Reifen gleichzeitig auf Schnee griffig, bei Nässe sicher und dabei langlebig sein?
Pirelli setzt beim Cinturato Winter 3 erstmals konsequent auf computerbasierte Entwicklungsmethoden. Statt wie früher unzählige Prototypen zu fertigen und auf Teststrecken zu prüfen, simulierten die Ingenieure verschiedene Eigenschaften am Computer. Diese virtuelle Herangehensweise soll nicht nur Zeit und Kosten sparen, sondern auch präzisere Ergebnisse liefern. Deshalb konnten die Entwickler nach eigenen Angaben Eigenschaften kombinieren, die sich normalerweise ausschließen.
Aber inwieweit kann Computersimulation die Realität ersetzen? Die Antwort liefert Pirellis neues Sottozero Centre in Schwedisch-Lappland, wo der Reifen unter extremsten Bedingungen getestet wurde. Die 2017 eröffnete Anlage erstreckt sich über 125 Hektar und verfügt über 19 verschiedene Teststrecken – von Schneepisten bis zu vereisten Kurven. Als Novum nutzte Pirelli erstmals auch eine Indoor-Anlage, die selbst im Sommer winterliche Verhältnisse simulieren kann.

Zick-Zack gegen Aquaplaning
Das auffälligste Merkmal des neuen Reifens ist sein zentraler Zick-Zack-Kanal, der Wasser schneller ableiten soll. Diese Profilgestaltung unterscheidet sich deutlich von herkömmlichen Winterreifen, deren Hauptrillen meist gerade verlaufen. Zusätzlich integrierten die Entwickler sogenannte Snow Keeper Teeth – kleine Zähne an den Profilblöcken, die Schnee festhalten und damit den Schnee-auf-Schnee-Kontakt verbessern sollen.
Deshalb verspricht Pirelli eine bessere Performance auf verschneiten Straßen, ohne die Nasshaftung zu beeinträchtigen. Diese Behauptung stützt sich auf Tests der unabhängigen Prüforganisationen Dekra und TÜV. In den Untersuchungen erreichte der Cinturato Winter 3 Spitzenwerte beim Bremsverhalten auf Schnee und erhielt die TÜV Premium Quality Mark. Bei Nässe führte er die Rangliste der Aquaplaning-Resistenz an und erzielte auf dem EU-Reifenlabel durchgängig Bewertungen zwischen A und B für die Nasshaftung.
Dual-Core-Technologie aus dem Motorsport
Die eigentliche Innovation steckt jedoch in der Gummimischung. Pirelli übernahm Erfahrungen aus der Entwicklung des P Zero Winter 2, eines Hochleistungs-Winterreifens, der bereits in mehreren Vergleichstests überzeugen konnte. Das neue Dual-Core-Polymer verfügt über eine flexible Struktur, die sich unterschiedlichen Temperaturen anpasst. Bei Kälte bleibt die Mischung weich genug für guten Schneegrip, bei milderen Temperaturen härtet sie aus und reduziert den Verschleiß.
Aber auch hier stellt sich die Frage nach der Praxistauglichkeit. Während Laborwerte beeindruckend klingen, zeigt sich die wahre Qualität eines Winterreifens erst im alltäglichen Einsatz über mehrere Wintersaisons. Pirelli gibt sich bezüglich der Haltbarkeit optimistisch und verspricht eine höhere Laufleistung als beim Vorgängermodell Cinturato Winter 2.
Künstliche Intelligenz mischt Gummi
Besonders interessant ist Pirellis Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz bei der Materialentwicklung. Das hauseigene Tool namens Virtual Compounder soll die optimale Kombination verschiedener Rohstoffe für neue Gummimischungen identifizieren. Diese KI-gestützte Herangehensweise beschleunigt den Entwicklungsprozess erheblich und ermöglicht es, mehr Varianten in kürzerer Zeit zu testen.
Deshalb konnte Pirelli nach eigenen Angaben die Entwicklungszeit des Cinturato Winter 3 im Vergleich zu früheren Generationen deutlich verkürzen. Kritiker wenden jedoch ein, dass künstliche Intelligenz nur so gut ist wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Die wahre Bewährungsprobe steht noch aus.
Elektroautos im Fokus
Der neue Winterreifen berücksichtigt auch die wachsende Zahl von Elektrofahrzeugen. Bestimmte Varianten verfügen über die Elect-Technologie, die speziell auf die Eigenschaften von E-Autos zugeschnitten ist. Durch reduzierten Rollwiderstand soll sich die Reichweite um bis zu zehn Prozent steigern lassen. Diese Angabe basiert auf Tests mit einem Volkswagen ID.4 bei konstanten 50 Kilometern pro Stunde über eine Strecke von 550 Kilometern.
Aber solche Laborwerte sind mit Vorsicht zu genießen. Im realen Fahrbetrieb mit wechselnden Geschwindigkeiten, Beschleunigungs- und Bremsvorgängen sowie unterschiedlichen Witterungsbedingungen dürften die Reichweitengewinne geringer ausfallen. Zudem stellt sich die Frage, ob die Optimierung für E-Autos die Performance bei konventionellen Antrieben beeinträchtigt.
Geräuschreduzierung für Komfort
Für lärmempfindliche Fahrer bietet Pirelli das Noise Cancelling System PNCS an. Dabei handelt es sich um ein schallabsorbierendes Material im Reifeninneren, das helfen soll Rollgeräusche im Fahrzeuginnenraum zu reduzieren. Alle Größen des Cinturato Winter 3 erreichten auf dem EU-Geräuschlabel die Bewertung B, was einem guten Niveau entspricht.
Deshalb eignet sich der Reifen besonders für Vielfahrer, die Wert auf Komfort legen. Allerdings sollten Käufer bedenken, dass zusätzliche Technologien wie PNCS den Preis erhöhen und möglicherweise die Reparaturmöglichkeiten einschränken.
Marktpositionierung zwischen Premium und Masse
Mit über 35 Produktvarianten in Größen von 16 bis 20 Zoll positioniert sich der Cinturato Winter 3 im mittleren bis gehobenen Marktsegment. Pirelli reagiert damit auf die wachsende Nachfrage nach speziellen Winterreifen in größeren Dimensionen, die typisch für höherwertige Fahrzeuge sind. Der neue Reifen ergänzt das Winterportfolio um den P Zero Winter 2 für Hochleistungsfahrzeuge und den Scorpion Winter 2 für leistungsstarke SUVs.
Aber diese Vielfalt wirft auch Fragen auf. Während die breite Palette verschiedene Kundenwünsche bedient, erschwert sie gleichzeitig die Auswahl für Verbraucher. Zudem bleibt abzuwarten, wie sich der Cinturato Winter 3 preislich gegenüber der etablierten Konkurrenz von Continental, Michelin oder Bridgestone positioniert.
Kritische Einordnung der Testergebnisse
Die von Pirelli präsentierten Testergebnisse von Dekra und TÜV sind durchaus beeindruckend. Allerdings sollten Verbraucher bedenken, dass diese Tests unter kontrollierten Bedingungen mit spezifischen Reifendimensionen durchgeführt wurden. Die Dekra-Untersuchung erfolgte beispielsweise nur mit der Größe 205/55R16, der TÜV testete die Dimension 225/45R17. Ob sich die Ergebnisse auf alle verfügbaren Größen übertragen lassen, bleibt offen.
Deshalb empfiehlt es sich, auch unabhängige Vergleichstests von Automobilzeitschriften oder Automobilclubs abzuwarten. Diese prüfen Winterreifen meist unter realitätsnäheren Bedingungen und beziehen auch subjektive Faktoren wie Fahrkomfort oder Geräuschentwicklung ein.
Fazit: Versprechen mit Fragezeichen
Pirelli präsentiert mit dem Cinturato Winter 3 einen technisch durchdachten Winterreifen, der etablierte Kompromisse überwinden soll. Die Kombination aus virtueller Entwicklung, KI-gestützter Materialforschung und innovativer Profilgestaltung klingt vielversprechend. Auch die ersten Testergebnisse stimmen optimistisch.
Aber wie bei allen Neuentwicklungen gilt: Die Praxis wird zeigen, ob die Versprechen eingehalten werden können. Besonders die Langzeitperformance und das Verschleißverhalten lassen sich erst nach mehreren Wintersaisons beurteilen. Verbraucher sollten daher nicht nur auf Herstellerangaben vertrauen, sondern auch unabhängige Tests und Erfahrungsberichte anderer Nutzer berücksichtigen.

Ähnliche Berichte
Von Breuberg auf die DTM-Strecke: Das Geheimnis hinter Pirellis neuem Rennreifen für die DTM 2026
Wenn billig gefährlich wird: ADAC deckt Schwächen bei seinem Winterreifen-Test 2025 auf
Goodyear erweitert Vector 4Seasons Gen-3 um weitere Dimensionen: Hohe Nachfrage nach Ganzjahresreifen