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1950 in Barcelona gegründet: 75 Jahre Seat

Seat wird 75 – Rückblick mit Weitblick - Bildnachweis: Seat

Eine Marke zwischen Rückblick und Neuausrichtung

Wenn ein traditionsreicher Automobilhersteller ein rundes Jubiläum feiert, ist das mehr als ein Rückblick – es ist stets auch ein Moment der Standortbestimmung. Für Seat, die 1950 in Barcelona gegründete Automarke, steht das 75-jährige Bestehen im Zeichen fundamentaler Transformationen. Bei der diesjährigen Automobile Barcelona inszeniert sich das Unternehmen als Brückenbauer zwischen Vergangenheit und Zukunft, mit einer umfangreichen Modellausstellung und ehrgeizigen Plänen zur Elektrifizierung der spanischen Automobilindustrie.

Seat wird 75 – Rückblick mit Weitblick – Bildnachweis: Seat

Vom 1400 zum Raval: Eine Zeitreise in Blech

Mit 75 ausgewählten Exponaten – vom ersten Seat 1400 bis zum vollelektrischen Cupra Raval – bietet die Jubiläumsausstellung auf der Plaza Univers nicht nur einen Querschnitt durch die Modellgeschichte des Unternehmens, sondern auch durch sieben Jahrzehnte gesellschaftlicher Entwicklung. Der Seat 600 etwa steht wie kein anderer für das beginnende Massenmotorisierungszeitalter in Spanien. Fahrzeuge wie der 127 oder der Ibiza verkörperten über Jahrzehnte erschwingliche Mobilität für breite Bevölkerungsschichten – und damit auch das wirtschaftliche Erstarken eines ganzen Landes.

Industriekraft und Standortgarantie

Die Bedeutung von Seat für die spanische Wirtschaft ist erheblich: Etwa ein Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts entfällt direkt auf das Unternehmen. Über 21,5 Millionen produzierte Fahrzeuge in 77 Modellvarianten sprechen eine deutliche Sprache. Mit zwei großen Werken – dem Hauptwerk in Martorell und dem Komponentenwerk in El Prat de Llobregat – sowie dem dort angesiedelten Centro Técnico, das vor genau 50 Jahren eingeweiht wurde, ist Seat bis heute das einzige Unternehmen, das in Spanien Fahrzeuge entwirft, entwickelt, produziert und auch vermarktet.

Forschung, Fachkräfte, Fertigung: Das technische Rückgrat

Das Entwicklungszentrum in Martorell gilt seit seiner Gründung als technisches Rückgrat der Marke. Mit fast 35 Millionen absolvierten Testkilometern, rund 950 Prototypen und 359 registrierten Patenten trägt das Centro Técnico entscheidend zur Innovationskraft von Seat und der sportlicher positionierten Submarke Cupra bei. Rund 34.000 Fachkräfte haben dort seit 1975 an der Zukunft der Marke gearbeitet. Die eigene Berufsschule bildet seit 68 Jahren systematisch Nachwuchs aus – bisher über 3.000 Fachkräfte, ein klares Bekenntnis zur langfristigen Qualifizierung.

Cupra als Zugpferd der Transformation

Eine zentrale Rolle in Seats Zukunftsstrategie spielt die 2018 gegründete Tochtermarke Cupra. Binnen sieben Jahren hat sie sieben Modelle auf den Markt gebracht und nähert sich 2025 der Marke von einer Million verkaufter Fahrzeuge. Während Seat nach wie vor im unteren bis mittleren Preissegment positioniert ist, versteht sich Cupra als sportlich-exklusive Marke mit Fokus auf Elektrifizierung und Design. Die aktuellen Modelle – darunter das SUV-Coupé Tavascan und der Sport-SUV Terramar – zeigen, wohin die Reise gehen soll: hin zu einer elektrifizierten, digital vernetzten Produktpalette, die auch außerhalb Spaniens Strahlkraft entfalten soll.

Der nächste Schritt: Elektrisch und ambitioniert

Mit dem Cupra Raval, der ab 2026 in Martorell produziert werden soll, will das Unternehmen erstmals in größerem Maßstab auf vollelektrische Kompaktmodelle setzen. Das Fahrzeug basiert auf der konzernweiten MEB-Plattform in der Entry-Version (MEB Small) und ist damit eng verwandt mit dem VW ID.2. Damit positioniert sich Cupra bewusst im wettbewerbsintensiven Segment der kompakten E-Autos unterhalb von 30.000 Euro. Zum genauen Startpreis hat Seat bislang noch keine Angaben gemacht, Branchenkenner rechnen aber mit einem Einstieg um die 25.000 Euro.

Blick zurück – und doch nach vorn

Dass die Ausstellung nicht nur die Klassiker wie den 124, Panda, Malaga oder den vielverkauften Ibiza würdigt, sondern auch Prototypen wie den Seat Toledo Electric von 1992 oder Motorsportfahrzeuge zeigt, verdeutlicht das Spannungsfeld, in dem sich die Marke aktuell bewegt. Der Spagat zwischen Historie und Zukunft gelingt dabei nicht immer reibungslos: So ist die Zukunft der Kernmarke Seat – anders als bei Cupra – bislang nur vage umrissen. Zwar wird am Standort Martorell investiert und elektrifiziert, doch fehlt eine klar erkennbare strategische Modelloffensive unter dem Seat-Logo.

Arbeitsplätze, Verantwortung, Wandel

Derzeit beschäftigt Seat direkt rund 14.000 Menschen. Inklusive Zulieferer und Partner beläuft sich der Beschäftigungseffekt auf über 100.000 Arbeitsplätze entlang der Wertschöpfungskette. Dass das Unternehmen anlässlich seines Jubiläums einen Bonus in Höhe von zehn Millionen Euro an die Belegschaft auszahlt, ist ein symbolischer Akt – aber auch Ausdruck für das Bestreben, den Wandel sozial abzufedern. Gleichzeitig steht die Organisation vor einem kulturellen Umbruch: Die Transformation in Richtung Elektromobilität, Digitalisierung und Diversität stellt gewachsene Strukturen auf den Prüfstand.

Zwischen Ikone und Unsicherheit: Wo steht Seat heute?

Die Ausstellung und die begleitenden Ankündigungen zeigen ein Unternehmen, das sich seiner Herkunft bewusst ist und den Anspruch erhebt, künftig mehr als nur Fahrzeuge zu produzieren – nämlich auch Lösungen für urbane Mobilität, technische Innovationen und gesellschaftliche Verantwortung. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, ob Seat als Marke – nicht nur als Produktionsstandort – im elektrischen Zeitalter ein neues Profil entwickeln kann. Der Fokus auf Cupra und die unklare künftige Modellstrategie von Seat selbst werfen Fragen zur langfristigen Markenpositionierung auf.

Ein Jubiläum mit doppeltem Boden

Seat feiert 75 Jahre Automobilgeschichte, geprägt von Volksmotorisierung, Standortbindung und technischer Entwicklungskraft. Doch das Jubiläum markiert keinen Schlusspunkt, sondern eine Weggabelung. Die Transformation zur Elektromobilität bringt Chancen, aber auch Risiken mit sich – insbesondere für die Hauptmarke Seat. Ob die ambitionierten Zukunftspläne ebenso nachhaltig sind wie die beeindruckende Vergangenheit, bleibt eine offene Frage. Klar ist: Ohne tiefgreifende strukturelle und strategische Entscheidungen wird aus der Rückschau allein noch keine zukunftsfähige Vision.