Polestar Climate Week NYC activation - Bildnachweis: Polestar
Polestar in diesem Herbst auf der Climate Week in New York den Takt vo
Kaum ein Autofahrer stellt sich morgens die Frage, ob er wirklich noch zu den „Dinosaur juice addicts“ zählt – doch genau diesen provozierenden Begriff spannt Polestar als Anfang seiner aktuellen Kampagne gegen fossile Brennstoffe. Die schwedisch-chinesische Elektroautomarke hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Gesellschaft mit den Schattenseiten des eigenen Benzinkonsums zu konfrontieren. Während vielerorts ein Trend zur alternativen Mobilität erkennbar ist, bleibt die Umstellung weg vom Verbrennungsmotor eine der großen urbanen Herausforderungen unserer Zeit.

Deshalb gibt Polestar in diesem Herbst auf der Climate Week in New York den Takt vor: Mit auffälligen Plakaten, einer eigens eingerichteten „Trennungs-Hotline“ und klaren Botschaften empört und mobilisiert die Marke gegen die Bequemlichkeit beim Griff zur Zapfsäule. Wer sich eingehender mit Polestars Ansatz beschäftigt, erkennt rasch, dass hinter dem Kampagnen-Feuerwerk weit mehr steckt als Marketing. Vielmehr spiegelt sich darin die kritische Auseinandersetzung mit den globalen Folgen des fossilen Zeitalters und die Forderung nach einem Systemwechsel – auch und gerade in Deutschland.
Aber reichen plakative Sprüche und ambitionierte Ziele wirklich, um die komplexen Probleme des Verkehrssektors anzugehen? Gerade hier ist Skepsis angebracht. Denn Polestar agiert nicht im luftleeren Raum, sondern inmitten einer Branche, die beim Umstieg auf die Elektromobilität gerne zögert. Einerseits betonen Branchenvertreter wie CEO Michael Lohscheller die Alternativlosigkeit des Kurswechsels; andererseits wachsen gerade in Deutschland die Stimmen derer, die eine Lockerung oder gar Verschiebung des EU-Verbrennerverbots ab 2035 fordern. Polestar hält dagegen: Wer den Rückwärtsgang einlegt, riskiert nicht nur klimapolitische Glaubwürdigkeit, sondern auch industrielle Wettbewerbsfähigkeit.

Aber es bleibt der Zweifel, ob die deutsche Politik und Gesellschaft den Wandel ebenso vehement vorantreiben wie Polestar und die Akteure der Climate Week. Die Erfahrungen zeigen: Laut Daten des Internationalen Rats für saubere Luft (ICCT) verursachen batterieelektrische Fahrzeuge etwa 73 Prozent weniger CO2-Emissionen über ihren Lebenszyklus als konventionelle Benziner, vorausgesetzt, der Strom stammt zumindest anteilig aus erneuerbaren Quellen. Doch noch immer sind es die Privat-Pkw, die mehr als ein Viertel der weltweiten Ölnachfrage bedienen und wesentlich zu den 15 Prozent der globalen, verkehrsbezogenen Treibhausgasemissionen beitragen. Deutschland, als eine der Automobilnationen Europas, prägt diese Zahlen deutlich mit.
Deshalb sollte man die Polestar-Kampagne nicht nur als Werbegewitter begreifen, sondern als einen Weckruf, der auch hierzulande Wirkung zeigt – gerade angesichts der weiterhin mäßigen Marktdurchdringung von Elektroautos. Erinnern wir uns: Im Jahr 2024 lag der Anteil neuer E-Fahrzeuge am globalen Gesamtmarkt bei lediglich 20 Prozent. In deutschen Innenstädten dominiert der Verbrenner, während ambitionierte Klimaziele regelmässig in den Hintergrund rücken, sobald politische Partikularinteressen aufkommen. Die EU-Regularien verschärfen zwar schrittweise die Grenzwerte, aber wie aktuell die Debatten um das Verbrenner-Aus zeigen, bleibt die Umsetzung oft ein Seilziehen zwischen Fortschritt und Bewahrung.
Deshalb lohnt sich ein Blick auf das Portfolio, mit dem Polestar auf eine Abkehr vom klassischen Antrieb setzt: Besonders ins Rampenlicht gerückt ist der neue Polestar 5, der in Deutschland als Dual-Motor-Variante bei 119.900 Euro startet. Wer sich für die Performance-Ausführung entscheidet, investiert mindestens 142.900 Euro – dafür gibt es eine reichweitenstarke GT-Limousine mit bis zu 670 Kilometern pro Batterieladung, skandinavischem Design und den neuesten digitalen Features. Auch die verwendeten Materialien sind ein Statement: Polestar setzt unter anderem auf kohlenstoffarmen und recycelten Aluminium, erneuerbaren Strom in der Produktion sowie nachhaltige Innenraumstoffe und chromfreies Leder.
Aber so viel Innovationsdrang erzeugt zwangsläufig Fragen: Wie klimaneutral kann ein Auto wirklich sein, dessen Produktion auf Stahl, Aluminium und Batterien setzt? Polestars ambitioniertes „Moonshot Goal“, einen komplett klimaneutralen Wagen zu bauen, bleibt bis 2040 eher Vision als Wirklichkeit. Der Weg dorthin führt über eine Integration neuer Forschungszentren wie dem Mission 0 House in Göteborg, wo Industrie und Wissenschaft Seite an Seite emissionsarme Materialien und Prozesse entwickeln. Dennoch: Der ökologische Fußabdruck ist keinesfalls Null – vor allem nicht beim Hochlauf der Fertigung und Logistik.
Deshalb bleibt es an der persönlichen Entscheidung des Konsumenten hängen, wie schnell sich die Mobilität der Zukunft tatsächlich durchsetzt. Polestar inszeniert den „Break-up with Fossil Fuels“ als kollektives Momentum, aber die gesellschaftliche Entwöhnung vom „Dinosaur juice“ wird ein langer Prozess, der neben technischen Innovationen und politischen Leitplanken vor allem eine Veränderung in den Köpfen erfordert. Es wäre zu einfach, in der aktuellen Debatte allein den Hersteller zum Hoffnungsträger zu machen.
Mit anderen Worten: Während Polestar in New York die Bühne sucht und Deutschland mit ambitionierten Modellen adressiert, steht letztlich mehr auf dem Spiel als nur die Wahl des nächsten Fahrzeugtyps. Klimaschutz im Straßenverkehr verlangt strukturelle Veränderungen, transparente Kommunikation und einen realistischen Blick auf die Grenzen und Möglichkeiten der Elektromobilität. Die Polestar-Kampagne macht deutlich, dass der Abschied von fossilen Brennstoffen zwar unerlässlich ist – aber keineswegs ein Selbstläufer. Der nächste Schritt liegt in einer partnerschaftlichen Umsetzung, bei der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Verantwortung teilen müssen.
Wer sich heute bewusst gegen das scheinbar Gewöhnliche und für den Wandel entscheidet, kommt an solchen Kampagnen nicht vorbei – aber er sollte sie immer kritisch begleiten und den eigenen Beitrag hinterfragen. Das gilt für den Einzelnen wie für die Branche insgesamt.

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