MOTORMOBILES

Das Automagazin im Internet

Bidirektionales Laden: Das Elektroauto als Stromlieferant der Zukunft

Erste ID. Modelle unterstützen bidirektionales Laden - Bildnachweis: Volkswagen

 

Was bidirektionales Laden leisten kann 

Das Elektroauto der Zukunft fährt nicht nur – es versorgt auch das eigene Haus mit Strom, stabilisiert das Netz oder hilft einem anderen E-Auto bei der Pannenhilfe. Möglich macht das das sogenannte bidirektionale Laden, bei dem nicht nur Energie in den Akku des Fahrzeugs fließt, sondern auch wieder zurück ins Netz oder an externe Verbraucher. In Deutschland gewinnt dieses Thema durch steigende E-Auto-Zahlen, volatile Strommärkte und die Energiewende an Bedeutung – auch wenn viele technische, rechtliche und wirtschaftliche Fragen derzeit noch offen sind.

Beim bidirektionalen Laden wird Strom in zwei Richtungen bewegt: vom Netz ins Auto und vom Auto zurück ins Netz oder an andere Verbraucher. Die Technik erlaubt verschiedene Anwendungen. Bei „Vehicle-to-Home“ (V2H) speist das Fahrzeug Strom ins Hausnetz, bei „Vehicle-to-Grid“ (V2G) sogar ins öffentliche Netz. Daneben gibt es „Vehicle-to-Load“ (V2L) für mobile Verbraucher wie Werkzeuge oder Campingausstattung und „Vehicle-to-Vehicle“ (V2V) zur Pannenhilfe.

Die Idee dahinter ist simpel: Elektroautos stehen im Schnitt 23 Stunden am Tag ungenutzt herum. Während dieser Zeit könnten sie ihre große Batterie zur Stabilisierung des Stromnetzes oder zur Reduzierung der Stromkosten im Haushalt nutzen. Gerade im Zusammenspiel mit Photovoltaikanlagen eröffnet das neue Möglichkeiten, etwa um Solarstrom vom Tag in die Nacht zu verschieben.

Technische Voraussetzungen

Um bidirektionales Laden zu ermöglichen, müssen mehrere Komponenten zusammenspielen. Zunächst braucht es ein Elektroauto, das Rückspeisung überhaupt unterstützt. Derzeit sind das nur wenige Modelle, beispielsweise der Nissan Leaf, der Mitsubishi Outlander PHEV, der Honda e, Hyundai Ioniq 5, Kia EV6, BMW i4 oder der Cupra Born – jeweils mit entsprechender Softwarefreigabe und Hardwareunterstützung.

Ein zweiter Baustein ist eine spezielle Wallbox, die nicht nur Strom ins Auto laden, sondern auch wieder ins Haus oder Netz entladen kann. Diese Geräte arbeiten mit einem Wechselrichter und sind bislang deutlich teurer als klassische AC-Wallboxen. Die Preise liegen aktuell bei rund 4.000 bis 6.000 Euro, zuzüglich Installations- und Energiemanagementkosten. Einige Hersteller bieten bereits vorkonfigurierte Systeme für den Heimgebrauch an, viele davon sind allerdings noch in Pilotphasen oder nur in ausgewählten Märkten verfügbar.

Drittens braucht es ein Energiemanagementsystem, das die Stromflüsse intelligent steuert – also entscheidet, wann geladen, wann entladen wird und wie sich das in Bezug auf Strompreise, Eigenverbrauch und Netzanforderungen optimieren lässt. Hier sind Schnittstellen zu Smart-Meter-Gateways und eventuell sogar zur Netzleitstelle nötig, sofern Energie ins öffentliche Netz eingespeist werden soll.

Wirtschaftlichkeit: Lohnt sich das überhaupt?

Grundsätzlich bietet bidirektionales Laden wirtschaftliches Potenzial. Wer tagsüber überschüssigen Solarstrom ins Auto lädt und diesen abends zur Versorgung des Haushalts nutzt, kann seinen Strombezug aus dem öffentlichen Netz reduzieren. Je nach Tarifmodell, Fahrzeuggröße und Fahrprofil lassen sich so jährlich mehrere hundert bis über zweitausend Euro einsparen.

Allerdings stehen dem derzeit hohe Einstiegskosten entgegen. Neben den Anschaffungskosten für ein kompatibles Fahrzeug und die bidirektionale Wallbox kommen zusätzliche Investitionen für die Installation, Stromzähler, eventuell erforderliche Speicherpuffer und Smart-Meter-Gateways hinzu. Förderungen existieren bislang nur vereinzelt, etwa über KfW-Programme oder steuerliche Anreize aus dem Koalitionsvertrag.

Auch auf Seiten der Stromversorger und Netzbetreiber fehlen häufig noch standardisierte Vergütungsmodelle für rückgespeisten Strom. Solange Netzentgelte doppelt anfallen oder Rückspeisung steuerlich als Lieferung gewertet wird, ist das Geschäftsmodell für Privatpersonen nur bedingt attraktiv.

Rechtlicher und regulatorischer Rahmen

Der TÜV-Verband kritisiert zu Recht, dass der regulatorische Rahmen für bidirektionales Laden in Deutschland bislang unzureichend ist. Weder das Energiewirtschaftsgesetz noch das Elektromobilitätsgesetz oder die Ladesäulenverordnung bieten klare Vorgaben zur Rückspeisung. Technische Normen wie die ISO 15118-20 oder die VDE-Vorschriften befinden sich teilweise noch in Entwicklung oder sind noch nicht verbindlich eingeführt.

Besonders problematisch ist die fehlende Zertifizierung bidirektionaler Systeme für den Anschluss an das öffentliche Netz. Das verhindert derzeit, dass bidirektionales Laden flächendeckend marktfähig wird. Eine Reform des Messstellenbetriebsrechts sowie klar definierte Netzentgeltmodelle wären dringend erforderlich, um Planungssicherheit für Hersteller, Netzbetreiber und Verbraucher zu schaffen.

Praxis und Perspektive

In der Praxis gibt es bislang nur wenige Anwendungsbeispiele in Deutschland. Pilotprojekte laufen etwa in Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen, oft in Kooperation zwischen Automobilherstellern, Energieversorgern und Forschungseinrichtungen. International ist man teils weiter: In Japan und Südkorea gehört V2H bereits zum Angebot bei vielen Neuwagen. In den Niederlanden wird in Utrecht eine ganze „bidirektionale Stadt“ mit Hyundai-Fahrzeugen aufgebaut.

In Deutschland sind derzeit rund 166.000 Elektrofahrzeuge technisch zum bidirektionalen Laden geeignet. Würden alle diese Fahrzeuge mit einer geeigneten Wallbox ausgestattet und systemisch eingebunden, könnten sie rechnerisch über fünf Gigawatt an Leistung ins Netz zurückspeisen – das entspricht mehreren konventionellen Kraftwerksblöcken. Doch so weit ist es noch lange nicht: Neben Technik und Infrastruktur fehlen vor allem Marktanreize, regulatorische Klarheit und standardisierte Systeme.

Fazit

Bidirektionales Laden ist eine vielversprechende Technologie, die das Elektroauto zum aktiven Bestandteil der Energiewende macht. Die Kombination aus E-Mobilität und dezentraler Energieversorgung eröffnet neue Potenziale für private Haushalte, Netzstabilität und den Ausbau erneuerbarer Energien. Gleichzeitig stehen wir am Anfang einer Entwicklung, die noch viele Herausforderungen mit sich bringt: hohe Kosten, unklare Rechtslage, technische Standardisierung und fehlende Marktmechanismen.

Wer heute in bidirektionales Laden investieren will, braucht Pioniergeist, technisches Verständnis und einen langen Atem. Doch die Perspektive ist klar: Mit der nächsten Fahrzeuggeneration, günstigeren Wallboxen und politischer Unterstützung könnte sich bidirektionales Laden ab etwa 2027 als neue Normalität etablieren – und das Elektroauto zum flexiblen Baustein einer nachhaltigen Energieversorgung machen.