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Blutbad im Reich der Mitte: Fusionen, Pleiten, Exporte – Chinas Autoindustrie sortiert sich radikal neu

Verrschiffung von Elektrofahrzeugen der Marke MG - Bildnachweis: MG Motors

  

Fusionen, Pleiten und der große Ausverkauf

Der Boden bebt in Chinas Automobilindustrie – und das nicht nur sprichwörtlich. Innerhalb weniger Monate hat sich das Kräfteverhältnis verschoben, der Markt steht vor einer tiefgreifenden Konsolidierung.

Chinas Autoindustrie unter Druck

Chinas Automobilmarkt war über Jahre geprägt von staatlichem Förderenthusiasmus und privatem Gründergeist. Mehr als 500 E‑Mobilitätsmarken entstanden zwischen 2018 und 2019, doch der Rückzug von Subventionen und der Einstieg aggressiver Preiskriege führten zu einem massiven Schrumpfungsprozess. Bereits rund 400 dieser Start‑ups haben bis 2025 aufgegeben. McKinsey erwartet, dass bis 2030 weniger als 50 Marken übrigbleiben werden. Der Preisverfall nimmt dramatische Ausmaße an, Insolvenzen greifen um sich, staatlich gelenkte Großfusionen sollen retten, was wirtschaftlich noch zu retten ist. Eine Entwicklung, die nicht nur das Machtgefüge im Land der Mitte verändert, sondern auch unmittelbare Auswirkungen auf den europäischen Markt hat.

Überkapazitäten als Katalysator

Chinas Autoindustrie leidet an ihrer eigenen Größe. In den vergangenen Jahren wurden im Überschwang des E-Mobilitätsbooms Produktionskapazitäten geschaffen, die inzwischen bei rund 40 Millionen Fahrzeugen pro Jahr liegen. Tatsächlich wurden 2024 aber nur etwa 30 Millionen Fahrzeuge verkauft – und davon rund 25 Millionen im Binnenmarkt. Das bedeutet eine Auslastung von weniger als drei Vierteln. Die Folge: ein brutaler Preiskampf, der längst nicht mehr nur kleinere Hersteller betrifft.

Insbesondere Hersteller, die ausschließlich auf den Heimatmarkt fokussiert waren, geraten zunehmend unter Druck. Der preisliche Abwärtsstrudel hat die Margen ausgehöhlt, viele Unternehmen schreiben rote Zahlen oder kämpfen mit Zahlungsengpässen. Lieferanten berichten von Zahlungszielen von bis zu 200 Tagen, die mittlerweile auf maximal 60 Tage begrenzt wurden – ein Anzeichen dafür, wie dramatisch sich die Lage für viele Beteiligte zuspitzt.

Die Rolle des Staates: Rettung durch Fusion

Die politische Führung in Peking hat erkannt, dass der Markt eine solche Zahl von Herstellern nicht langfristig tragen kann. Ziel ist es daher, über gezielte Konsolidierungen sogenannte „nationale Champions“ zu formen, die international wettbewerbsfähig sind. Prominentestes Beispiel ist die geplante Fusion der beiden Staatsunternehmen Changan und Dongfeng. Zusammen würden sie über fünf Millionen Fahrzeuge pro Jahr produzieren und damit sogar Marktführer BYD herausfordern.

Konsolidierung als Auslesephase

Doch der Zusammenschluss hat weniger mit strategischem Wachstum zu tun als mit Notwendigkeit. Dongfeng ist 2024 in die Verlustzone gerutscht, Changan verzeichnete einen Gewinneinbruch um 50 Prozent. Die Fusion erscheint daher eher als staatlich orchestrierte Rettung zweier angeschlagener Unternehmen – ein deutliches Zeichen für die Schwere der Krise. Auch wenn es aktuell danach aussieht, dass dieses Fusionsvorhaben in letzter Minute zu scheitern droht.

Insolvenzwelle unter Kleinherstellern

Während sich die Großkonzerne mit staatlicher Hilfe konsolidieren dürfen, sieht die Lage bei vielen kleineren, privaten Marken düster aus. Jüngstes Opfer: der Elektroautohersteller HiPhi, der die Produktion eingestellt und Insolvenz angemeldet hat. Branchenbeobachter rechnen mit einer Welle weiterer Pleiten. Besonders gefährdet sind Hersteller ohne solide Exportstruktur und ohne Beteiligung an der staatlich gesteuerten Konsolidierung. Sie stehen unter doppeltem Druck: sinkende Preise bei gleichzeitig wachsenden Erwartungen an Qualität und Technologie – ein toxisches Gemisch.

Auch viele Zulieferer geraten ins Schlingern. Die Zahlungsfristen großer Hersteller wurden gekürzt, Margen sinken, Aufträge werden storniert. Experten sprechen von einem Selektionsprozess, der gewollt ist und zentralstaatlich dirigiert gezielt herbeigeführt wird: Nur die innovativsten, kapitalstärksten und global aufgestellten Unternehmen sollen langfristig überleben.

BYD: Vom Marktführer zum Brandbeschleuniger

Besonders viel Aufmerksamkeit erhält derzeit BYD, der mit Abstand größte Elektroautobauer Chinas. Im Mai 2025 senkte das Unternehmen die Preise für 22 Modelle um bis zu 34 Prozent. Ein Kleinwagen mit modernen Fahrassistenzsystemen ist (im Heimatmarkt China) bereits ab umgerechnet 6.700 Euro erhältlich. Der Seagull, ein Tesla-Konkurrent im Kleinformat, wurde gar für rund 12.500 Euro angeboten.

Kurzfristig kurbelte BYD damit die Verkaufszahlen an, doch der Preis war hoch. Innerhalb von nur zwei Wochen verlor das Unternehmen 20 Milliarden US-Dollar an Börsenwert. Auch bei anderen Herstellern sanken die Gewinne im ersten Quartal 2025 durchschnittlich um rund 45 Prozent. Der Preiskrieg hat sich verselbstständigt – und es ist fraglich, ob die aggressive Strategie langfristig tragfähig ist. Denn gleichzeitig schmelzen Budgets für Forschung und Entwicklung zusammen, was sich bereits bei der Qualität mancher Billigmodelle bemerkbar macht.

Export als letzter Ausweg

Da der chinesische Heimatmarkt zunehmend unberechenbar wird, setzen viele Hersteller auf die Expansion nach Europa. Dabei treffen sie auf ein schwieriges Umfeld: Die EU erhebt Strafzölle von bis zu 45 Prozent auf batterieelektrische Fahrzeuge aus China, was die Wettbewerbsfähigkeit deutlich einschränkt. BYD reagiert darauf mit einem Strategie-Wechsel: Statt vollelektrische Fahrzeuge zu exportieren, sollen Plug-in-Hybride (PHEV) den Weg nach Europa finden. Diese sind derzeit noch nicht von den Strafzöllen betroffen.

Das Ziel ist klar: Jeder fünfte exportierte BYD soll 2025 in der EU landen. Auch andere Marken wie Chery, MG (unter SAIC-Kontrolle) oder Xpeng forcieren ihre Auslandsstrategie. Einige liefern bereits rechtsgelenkte Fahrzeuge nach Südostasien aus, um sich neue Märkte zu erschließen. Für China ist der Export keine Option, sondern eine Überlebensnotwendigkeit.

Auswirkungen auf den europäischen Markt

Für deutsche Hersteller bringt die Krise in China Licht und Schatten. Einerseits entlastet der schwächelnde Heimatmarkt der chinesischen Konkurrenz den Wettbewerb um Absatzmärkte in Asien. Andererseits verschärft der Exportdruck die Situation in Europa. Der Preiskampf könnte bald auch hier eskalieren – mit Fahrzeugen, die zwar günstig sind, aber nicht zwangsläufig schlechter. Die technologische Entwicklung bei chinesischen Herstellern hat in den letzten Jahren spürbar aufgeholt, in manchen Bereichen wie Batterietechnologie oder Infotainment sogar führende Positionen erreicht.

Hinzu kommt, dass viele chinesische Marken enge Partnerschaften mit westlichen Konzernen unterhalten. Changan kooperiert mit Ford, Dongfeng mit Nissan und Honda, Geely mit Renault und Daimler. Auch Volkswagen baut seine Zusammenarbeit mit dem chinesischen Start-up Xpeng aus. Diese strategischen Allianzen könnten durch die Konsoliderung unter chinesischer Kontrolle ins Wanken geraten – oder eine neue Form transnationaler Kooperation einläuten.