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Die Stunde der Wahrheit: Warum 2025 zum Schlüsseljahr wird
Die Zukunft der europäischen Autoindustrie hängt nicht nur von neuen Modellen oder technischen Innovationen ab, sondern zunehmend von der Fähigkeit, die verschärften CO₂-Ziele der EU einzuhalten. Zwar nehmen batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) mittlerweile mehr Fahrt auf, doch der Weg zur CO₂-Compliance bleibt steinig – und für viele Hersteller eine wirtschaftliche Herausforderung.
Die EU-CAFE-Verordnung zwingt die Branche zu einem tiefgreifenden Wandel. Nach einem durchwachsenen Jahr 2024 – geprägt vom Wegfall staatlicher Subventionen für Elektroautos, insbesondere in Deutschland – zeigen die ersten Monate 2025 einen klaren Umschwung: Benziner und Diesel verlieren Marktanteile, Vollhybride und vor allem BEVs legen zu. Laut Dataforce hat sich der BEV-Absatz in der EU27 seit Jahresbeginn zwar beschleunigt, reicht aber noch nicht aus, um die Klimavorgaben zu erfüllen. Der durchschnittliche CO₂-Ausstoß sank zwar auf 103 g/km, doch zum Zielwert von 93,6 g/km klafft weiterhin eine empfindliche Lücke.

Ein Blick auf die Zulassungsstatistiken verdeutlicht: Vollhybride entwickelten sich 2024 zur dominierenden Kraft im Markt, mit einem Plus von über 250.000 Neuzulassungen. Der Anstieg bei BEVs ist dagegen bislang eher moderat – vor allem gemessen an dem, was nötig wäre, um die 2025er Grenzwerte zu erfüllen. Dataforce zufolge müsste der BEV-Anteil auf rund 35 Prozent steigen, um die Emissionslücke auszugleichen. Aktuell liegt dieser Wert jedoch deutlich darunter, auch wenn der Jahresanfang traditionell schwächere Monate für Elektrofahrzeuge sind.
Hersteller im Wettlauf mit dem CO₂-Ziel: Gewinner und Nachzügler
Ein zentrales Element der EU-Verordnung ist die Zuteilung individueller Emissionsziele pro Herstellergruppe – angepasst an das durchschnittliche Fahrzeuggewicht. Diese Zielgrößen fordern von Marken mit schwereren Fahrzeugen strengere Reduktionen. Hersteller mit hohem ZLEV-Anteil – also Plug-in-Hybriden (PHEV) und BEVs – erhalten hingegen Erleichterungen von bis zu fünf Prozent.
Dataforce analysierte die durchschnittlichen CO₂-Werte der zehn absatzstärksten Hersteller im ersten Quartal 2025 und stellte fest: Acht von zehn konnten ihre Emissionen senken, am deutlichsten Volkswagen mit minus 13 g/km. Dennoch bleibt VW mit aktuell 105 g/km noch zwölf Punkte über dem Zielwert. Besser stehen Renault, BMW, Kia und Toyota da – sie bewegen sich bereits innerhalb der zulässigen Grenzwerte. Damit gehören sie zu den wenigen Herstellern, die ohne zusätzliche Kompensationen auskommen könnten. Aber: Die Ziele gelten nicht auf Markenebene, sondern auf Ebene der OEM-Gruppen – und hier sind die Verhältnisse oft komplexer.
Warum der CO₂-Pfad der EU verlängert wurde – und was das bedeutet
Ursprünglich sah das EU-Regelwerk eine Einhaltung der Zielwerte bereits bis Ende 2025 vor. Doch angesichts der verhaltenen Marktreaktion wurde im Mai 2025 eine Korrektur beschlossen: Nun können die Emissionen über einen Zeitraum bis Ende 2027 geglättet werden. Diese Flexibilisierung ist nicht nur eine Erleichterung für viele OEMs, sondern spiegelt auch die strukturellen Hürden des Marktes wider. Die Elektromobilität wächst – aber nicht schnell genug.
Die von Dataforce vorgestellte Projektion zeigt, wie herausfordernd das ursprüngliche Ziel war. Eine Marke, die 2025 mit einem CO₂-Ausstoß von 107 g/km startet, hätte ihre Emissionen bis Jahresende auf 78 g/km senken müssen – was einem monatlichen Rückgang von über 3 g/km entspräche. Dies hätte praktisch nur mit einem massiven BEV-Anteil funktioniert, der kaum realistisch schien. Das überarbeitete Modell mit Zielerreichung bis Ende 2027 reduziert diesen Druck auf etwa 0,9 g/km monatlich – ehrgeizig, aber nicht illusorisch.
Preisgleichheit als Katalysator – aber der Markt zögert
Ein positiver Faktor: Viele BEVs sind im C-Segment und darüber inzwischen preislich mit Verbrennern vergleichbar. Vor allem durch die Preisoffensiven chinesischer Anbieter wie BYD, MG oder Nio wurde der Wettbewerb verschärft. Auch europäische Hersteller wie Renault mit dem Mégane E-Tech oder Volkswagen mit dem ID.3 reagierten mit Preisanpassungen. Dennoch bleibt die Kaufzurückhaltung groß, nicht zuletzt wegen weiterhin hoher Strompreise und dem lückenhaften Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Viele Hersteller setzen deshalb verstärkt auf Vollhybride, die keine Ladeinfrastruktur benötigen, dafür aber in der CO₂-Bilanz deutlich schlechter abschneiden als reine BEVs. Plug-in-Hybride liefern zwar durch größere Batterien zusätzliche Reduktionspotenziale, doch ihr realer CO₂-Vorteil hängt stark vom Nutzerverhalten ab – und ist in vielen Flottenzwecken fraglich.
Die Rolle der EU-Politik: Vertrauen braucht Planbarkeit
Ein kritischer Punkt in der Diskussion ist die kurzfristige Änderung der EU-Vorgaben. Ursprünglich festgelegte Zielpfade wurden im Nachhinein revidiert – ein Vorgehen, das laut Dataforce das Vertrauen in langfristige Regulierung untergräbt. Für Investitionen in neue Antriebstechnologien brauchen Hersteller Verlässlichkeit. Ob ein ähnlicher Anpassungsmechanismus auch für die Zielvorgaben 2030 und 2035 kommt, ist noch offen – wünschenswert wäre eine frühzeitige Klärung.
Fazit: Fortschritte ja – Ziel erreicht noch lange nicht
Die Elektromobilität in Europa ist auf dem Vormarsch. Der BEV-Anteil wächst, und viele Hersteller investieren massiv in neue Plattformen, günstigere Batterietechnologien und eine stärkere Marktpräsenz. Doch das reicht bislang nicht aus, um die CO₂-Ziele aus eigener Kraft zu erreichen. Die Umstellung der Kundennachfrage verläuft zu langsam. Der verlängerte Zielpfad bis 2027 schafft zwar Luft, ist aber keineswegs ein Freifahrtschein – denn die aufgelaufenen Emissionen müssen später kompensiert werden. Die Autoindustrie steht damit vor einem strategischen Drahtseilakt zwischen Investition, Innovation und Marktakzeptanz.

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