Bildnachweis: Laura Fleischhacker / MOTORMOBILES
Herbstferien und mehr als 1200 Baustellen
Kaum scheint nach dem Spätsommer die Sonne etwas milder, steuert Deutschland erneut einem verkehrstechnischen Ausnahmezustand entgegen. Es ist weniger der Klimawandel, der in diesen Tagen die Mobilität prägt, sondern ein Phänomen, das fast schon traditionell ist: Der Herbstferienbeginn sorgt für gewaltige Reiseströme auf Deutschlands Fernstraßen. Wer in diesen Tagen den Entschluss fasst, spontan Richtung Alpen, Mittelgebirge oder ganz klassisch an die Küsten von Nord- und Ostsee zu fahren, muss sich auf etliche Hemmnisse einstellen.
Schon am Freitag, dem 10. Oktober, beginnt das, was viele Jahr für Jahr unterschätzen: Die Verbindung aus Berufsverkehr im ausgehenden Alltag und Urlaubsstart bringt eine dichte Blechlawine ins Rollen, deren Auswirkungen selten im Vorfeld präzise vorhersehbar sind. Die Ursache liegt auf der Hand, wird aber dennoch vielfach unterschätzt: In gleich sechs Bundesländern – Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und dem Saarland – starten die Herbstferien; gleichzeitig münden in Hessen, Sachsen und Thüringen die zweiten Ferienwochen in neue Urlaubspläne. Deshalb entsteht auf praktisch allen Hauptachsen Richtung Alpen, Küsten und Naherholungsgebiete ein Zeitfenster extremer Verkehrsdichte.
Die Realität auf der Straße sieht jedoch oft noch ernüchternder aus, als die Prognosen es vermuten lassen. Denn zu Ferienbeginn addiert sich die Belastung durch über 1.200 aktive Baustellen auf deutschen Autobahnen. Wer diesen Umstand für einen bloßen Randaspekt hält, irrt: Die Zahl der Baustellen hat in den letzten Jahren ein neues Rekordniveau erreicht, nicht zuletzt durch eine Kombination aus Instandhaltungsdefiziten und dem nach wie vor schleppenden Ausbau vieler Strecken. Wer zum Beispiel am Kölner Ring unterwegs ist – A1, A3, A4 -, dürfte von „fließendem Verkehr“ zumeist nur träumen. Die ohnehin engen Zeitfenster für Pendler kollidieren mit dem saisonalen Verkehr. Ähnliches dürfte etwa auf den Strecken Dortmund-Hamburg, Magdeburg-Hannover, Frankfurt-Nürnberg oder rund um München zu spüren sein.
Aber die Herausforderung dieses Wochenendes geht weit über das klassische Stauthema hinaus. Gerade im Oktober lauern zusätzliche Gefahren auf Autofahrer: Nebel am Morgen und in höheren Lagen bereits erste Anzeichen von Glätte. Wer ohne angepasste Bereifung – sprich: Winterreifen – in Richtung Alpen startet, bringt sich und andere in Gefahr. Die ADAC-Prognose mahnt zu besonderer Vorsicht, doch vor Ort entscheidet oft das Augenmaß jedes Einzelnen. Eine Unsicherheit bleibt: Trotz aller Empfehlungen sind längst nicht alle Autofahrer für frühherbstliche Witterungen gewappnet.
In den vergangenen Jahren wurde immer wieder deutlich, dass nicht nur Baustellen und Zusatzverkehr das Rückgrat der Stausaison bilden, sondern auch die mangelnde Vorbereitung vieler Autofahrer auf kritische Situationen. Gerade im engmaschigen Netz von Baustellen kann eine fehlende Rettungsgasse zur lebensbedrohlichen Falle werden. Die Pflicht, diese frühzeitig zu bilden – schon bei stockendem Verkehr – ist zwar gesetzlich verankert und mit Sanktionen von bis zu 320 Euro bewehrt, wird aber in der Praxis immer noch zu häufig vernachlässigt. Hier klafft eine Lücke zwischen Wissen und tatsächlichem Handeln, die weiter Anlass zur Sorge gibt.
Ungeachtet innerdeutscher Engpässe lohnt dieses Jahr auch der Blick über die Grenze. Denn zeitgleich mit den deutschen Ferien starten auch in Teilen der Niederlande die Schulferien, weshalb Grenzregionen und klassische Transitachsen – etwa zum Brenner, Fern- und Gotthardpass – mit zusätzlichem Verkehrsaufkommen zu rechnen haben. Besonders heikel sind dabei die zahlreichen Tunnel- und Brückenbaustellen im österreichischen Fernstraßennetz: Beispiele sind die Arbeiten an der Luegbrücke auf der A13 oder die Sanierung des Pfändertunnels auf der A14. Wer Umfahrungen und Routenkontrollen ignoriert, riskiert erhebliche Zeitverluste. Deshalb ist etwa auf der Inntalautobahn und am Fernpass mit kurzfristigen Abfahrts- und Durchfahrtsperrungen zu rechnen – Maßnahmen, die je nach Verkehrsaufkommen flexibel angepasst werden und so die Planbarkeit für Autofahrer deutlich reduzieren.
Grenzkontrollen und verstärkte polizeiliche Überwachungen sind ein weiteres Kapitel. Dass an neuralgischen Punkten wie Suben, Walserberg oder Kiefersfelden auch am kommenden Wochenende längere Wartezeiten entstehen, überrascht niemanden mehr. Aber auch wer Richtung Nachbarländer wie Polen, Frankreich oder Dänemark unterwegs ist, erlebt die Auswirkungen erhöhter Kontrollintensität, die nicht nur pandemiebedingt, sondern mittlerweile aus Gründen allgemeiner Sicherheit verlängert wird.
Deshalb bleibt eine Unsicherheit: Wird sich das Ferienwochenende diesmal noch stärker auf den Zufahrtsstraßen und Fernrouten bemerkbar machen als in den Vorjahren? Zwar liefern die Zahlen des ADAC und anderer Verkehrsanbieter eine solide Prognose, doch welche Effekte Baustellen, Wetter und spontanes Ausflugsverhalten einzelner tatsächlich entfalten, zeigt sich erst im Rückblick. Gerade jetzt stellt sich die persönliche Frage, ob sich der Jäger des letzten freien Hotelzimmers in den Mittelgebirgen den Stress dieser Tage wirklich antun will – oder es nicht vielleicht doch gelassener angehen lässt.
Die beste Strategie für Reisende an diesem Wochenende bleibt letztlich eine Mischung aus sorgfältiger Vorbereitung, realistischem Zeitmanagement und einer gesunden Portion Skepsis gegenüber den angeblich optimalen Alternativrouten, die oft nur kurzfristig Entlastung bringen. Wer trotzdem unterwegs sein muss, ist gut beraten, aktuelle Verkehrsdienstleister im Blick zu behalten und die Rettungsgasse als Selbstverständlichkeit zu verinnerlichen.
Die ADAC-Prognose liefert damit nicht nur eine Momentaufnahme des erwarteten Verkehrs, sondern ist auch Mahnung und Prüfstein: Wie resilient ist das deutsche Verkehrssystem und wo bleibt die Eigenverantwortung? Die Antwort fällt – trotz aller Appelle zum Trotz – in jedem Jahr neu aus.

Ähnliche Berichte
Zwischen Entlastung und Verantwortung: ADAC testet Autobahnassistenten der Level 2+ und Level 3
Nebel, Nässe und trotzdem freie Fahrt? ADAC Stauprognose vom 14. bis zum 16. November 2025
Live-Spurführung von Google Maps im Polestar 4: Neues Navigationsgefühl für komplexe Straßen