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Peking 2025: „Vision Iconic“ – Wie Mercedes die Vergangenheit neu erfindet

Mercedes Vision Iconic - Peking 2025 - Bildnachweis: Mercedes

 

Eine Ikone erwacht neu

Es gibt Fahrzeuge, die nicht nur ein neues Modell ankündigen, sondern eine ganze Ära. Der Mercedes Vision Iconic zählt zu dieser seltenen Kategorie. Auf den ersten Blick wirkt sein Auftritt wie eine Reminiszenz an die prunkvolle Ästhetik vergangener Jahrzehnte. Doch hinter dem glänzenden Chrom und dem tiefschwarzen Lack verbirgt sich eine technologische Vision, die den Anspruch der Marke für das nächste Jahrzehnt prägt – und die Grenzen des heutigen Automobildesigns neu zieht.

Mercedes Vision Iconic – Peking 2025 – Bildnachweis: Mercedes

Zwischen Vergangenheit und Zukunft 

Die Inspiration für den Vision Iconic entstammt der reichen Historie von Mercedes‑Benz. Elemente aus den 1930er Jahren, etwa der langgestreckten Motorhauben klassischer Tourer, verbinden sich mit modernen Designelementen und digitaler Inszenierung. Entlang dieser Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft entsteht ein Showcar, das nicht nostalgisch, sondern vorausschauend denkt. Der ikonische Grill – seit mehr als einem Jahrhundert das Gesicht der Marke – wird hier zum Symbol einer Neuinterpretation.

Mercedes Vision Iconic - Peking 2025

Statt einer rein funktionalen Kühlerstruktur präsentiert sich ein vertikal ausgerichtetes, beleuchtetes Designobjekt. Es knüpft an legendäre Modelle wie den 600 Pullman oder den W 111 an, löst sich aber bewusst von deren Statik. Eine schwebende Rauchglasstruktur ersetzt herkömmliche Lamellen, die Konturen werden von LED‑Lichtlinien präzise nachgezeichnet. Im Dunkeln wirkt die Front wie eine Skulptur, die den Begriff Status neu definiert – digital, aber mit Seele.

Mercedes Vision Iconic – Peking 2025 – Bildnachweis: Mercedes

Licht als emotionale Signatur 

Während andere Marken Licht oft nur als Mittel zur Sicht nutzen, macht Mercedes es zu einem Gestaltungselement. Die Illumination des dreidimensionalen Sterns auf der Motorhaube erzählt von Ehrgeiz, aber auch von der Suche nach Individualität im elektrischen Zeitalter. Gerade weil heutige Elektroautos zunehmend ähnlich erscheinen, sucht Mercedes hier die Differenz.  Der Vision Iconic greift diesen Gedanken konsequent auf und übersetzt ihn in eine Lichtarchitektur, die Charakter zeigt, ohne Effekthascherei.

Mercedes Vision Iconic – Peking 2025 – Bildnachweis: Mercedes

Der innere Raum der Zukunft 

Aber der eigentliche Wow‑Moment offenbart sich erst nach dem Öffnen der Türen. Dann gleitet der Blick in eine Lounge, wie man sie in dieser Form bislang kaum kannte. Der Innenraum verschmilzt hyper‑analoge Handwerkskunst mit digitaler Intelligenz – eine Harmonie, die vielen Konzeptfahrzeugen oft fehlt. Die Stoffe sind keine futuristischen Sonderanfertigungen, sondern feinster Samt und poliertes Messing, weich kontrastiert mit Glaselementen und Intarsien aus Perlmutt.

Zentral im Cockpit erhebt sich der sogenannte „Zeppelin“,  eine gläserne Skulptur, die klassisches Uhrmacherhandwerk als Inspirationsquelle nutzt. Beim Aktivieren der Systeme erwacht dieser Zeppelin mit einer analogen Animation, die an das Aufziehen eines Chronographen erinnert. Der Effeekt ist verblüffend: Technik wirkt hier nicht wie ein Fremdkörper, sondern wie ein lebendes Ornament. Selbst die vier Uhren auf der Mittelkonsole sind nicht bloß Dekor – eine davon fungiert als Interface zum KI‑Begleiter des Fahrzeugs.

Handwerkskunst trifft digitale Präzision 

Deshalb bleibt der Vision Iconic so faszinierend: Er ist Luxus im Sinne einer Haltung, nicht im Sinne von Überfluss. Die Kombination aus Strohmarketerie am Boden, die an Pariser Salons der 1920er erinnert, und hochmoderner Sensorik für autonomes Fahren spricht Bände über die Philosophie dahinter. Mercedes zeigt hier, dass sich Tradition und Fortschritt nicht ausschließen müssen, sondern gemeinsam Emotion erzeugen können.

Solarlack: Energie aus Licht 

Technologisch ist der Vision Iconic weit mehr als ein ästhetisches Experiment. Die Forschung am sogenannten Solarlack könnte sich als ernstzunehmende Antwort auf die Energiefrage der Elektromobilität erweisen. Diese hauchdünne photovoltaik‑aktive Schicht verwandelt Karosserieflächen in Energiequellen. Unter idealen Bedingungen lassen sich bis zu 12.000 Kilometer Reichweite jährlich allein aus Sonnenlicht generieren – ein Wert, der beeindruckt, selbst wenn man ihn realistisch um ein Drittel reduziert.

Im Unterschied zu konventionellen Solarzellen enthält dieser Lack weder Silizium noch Seltene Erden. Das macht ihn leichter recycelbar und umweltfreundlicher. Mercedes nutzt dabei eine organische Beschichtung, die Strom auch im Ruhezustand erzeugt. Dieser Ansatz, bislang nur von Forschungsprojekten aus Japan und Kalifornien bekannt, wird nun erstmals in ein europäisches Fahrzeug integriert – ein unübersehbarer Fingerzeig auf den Standort Deutschland.

Neuromorphic Computing – das Gehirn des Autos 

Ebenso zukunftsweisend ist das, was unsichtbar unter der Karosserie passiert. Das neuromorphe Rechensystem im Vision Iconic ist längst kein PR‑Begriff mehr, sondern ein erprobtes Konzept in Mercedes’ Forschungsabteilungen in Böblingen und Sunnyvale. Hier arbeiten Prozessoren, die neuronale Netzwerke nicht simulieren, sondern in ihrer Architektur nachbilden.

Das Ergebnis: zehnmal effizientere Datenverarbeitung bei Reaktionen in nahezu Echtzeit. Die Sensorik des Fahrzeugs erkennt Verkehrssituationen ähnlich einem menschlichen Gehirn – nicht pixelweise, sondern durch Muster. Für hochautomatisiertes Fahren bedeutet das ein gewaltiges Sicherheitsplus. Mercedes rechnet mittelfristig mit einer Energieeinsparung von bis zu 90 Prozent gegenüber heutigen KI‑Systemen. Die Technologie könnte in den kommenden Jahren auch in Serienanwendungen wie dem Drive‑Pilot‑System auftauchen.

Zwischen Menschenhand und Algorithmus 

Doch bleibt die Frage: Wird das Auto dadurch menschlicher oder entfernter? Vielleicht beides. Denn während man entspannt auf der samtenen Sitzbank Platz nimmt und das Auto den Verkehr selbst meistert, schwindet zwangsläufig die Rolle des Fahrers. Mercedes spricht von einer „neuen Art des Reisens“. Tatsächlich erinnert das Fahrerlebnis an ein luxuriöses Lounge‑Ambiente – mit dem Unterschied, dass hier, anders als im Flugzeug, kein Pilot anwesend ist.

Die Vision: Auf der Autobahn Level‑4‑Fahren aktivieren, den Verkehr der KI überlassen, vielleicht kurz schlafen, vielleicht einen Film streamen. Die Technik soll dafür sorgen, dass man sicherer, ausgeruhter und souveräner ans Ziel kommt. In Deutschland wäre dafür freilich noch einiges an rechtlicher Grundlage nötig. Doch die technischen Voraussetzungen scheinen geschaffen.

Steer‑by‑Wire: Direktheit ohne Mechanik 

Ein weiteres Element, das Mercedes beim Vision Iconic realitätsnah erprobt, ist Steer‑by‑Wire. Die klassische mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und Rädern entfällt, die Steuerbefehle werden elektronisch übertragen. In Verbindung mit der Hinterachslenkung ergibt sich ein überraschend agiles Fahrverhalten, das einem kurzen Sportwagen ähnelt, obwohl der Wagen mit über fünf Metern Länge zu den großen Tourern zählt. Das System erlaubt es, das Interieur freier zu gestalten und gleichzeitig präziser zu lenken.

Auch in puncto Sicherheitsarchitektur denkt das Konzept voraus. Redundante Steuerpfade und Fail‑Safe‑Protokolle sorgen dafür, dass der Fahrer jederzeit eingreifen könnte – sofern er es überhaupt noch möchte. Gerade diese Mischung aus physischer Kontrolle und technischer Entlastung prägt die nächste Generation der Oberklasse.

Mode, Design und Identität 

Parallel zum automobilen Statement stellte Mercedes in Shanghai eine exklusive Capsule Collection vor. Sie übersetzt das Farb- und Formenspiel des Vision Iconic in sechs maßgeschneiderte Outfits. Dunkelblaue Grundtöne, silbergoldene Akzente, geometrische Strukturen – die Mode atmet denselben Geist wie das Fahrzeug: Art‑Deco‑Inspiration mit digitalem Feinsinn. Damit betont die Marke ihre Nähe zwischen Automobildesign und Modewelt, eine Verbindung, die Mercedes in China gezielt kultiviert.

Deshalb ist die Präsentation in Shanghai auch mehr als eine Designshow. Sie demonstriert die globale Strategie der Marke, ikonisches deutsches Design emotional aufzuladen – ohne seine Ursprünge zu verleugnen. Stuttgart bleibt das Zentrum dieser Entwicklung, die Shanghai Fashion Week ist die Projektionsfläche.

Ein Buch als Manifest 

Begleitend veröffentlichte Mercedes das Designbuch „Iconic Design“, das die Philosophie hinter der sogenannten New Iconic Era erläutert. Es zeigt nicht nur Skizzen und Materialien, sondern auch das Denken hinter der Formsprache: Klarheit, Sinnlichkeit und Respekt vor dem handwerklichen Ursprung. Man könnte meinen, Mercedes positioniert sich hier neu als Kulturmarke – eine Bewegung, die bereits mit Konzeptfahrzeugen wie dem Vision EQXX begann und nun konsequent fortgesetzt wird.

Der stille Umbruch

Der Vision Iconic ist weit mehr als ein glitzerndes Showcar. Er markiert eine bewusste Kursänderung. Während andere Hersteller versuchen, künstliche Dramatik in Designs zu pressen, setzt Mercedes auf Zurückhaltung mit Tiefe. Es geht weniger um „Wow“, sondern um „Aha“. In einer Zeit, in der Softwarekompetenz zunehmend den Markenerfolg bestimmt, beweist der Vision Iconic, dass ästhetische Kultur und technologische Innovation keine Gegensätze sind.

Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft: Der Fortschritt kehrt zu sich selbst zurück – in der Ruhe eines Autos, das verstanden hat, was Zeitlosigkeit bedeutet.