Ein gutes Jahr für den Reifenhandel: 2024 wurden insgesamt fast 47,5 Millionen Reifen für Pkw, Leicht-Lkw und Lkw verkauft - Bildnachweis: BRV
Wie Allrounder den Markt aufmischen
Das Jahr 2024 hat sich für den deutschen Reifenhandel als überraschend positiv erwiesen. Mit einem Gesamtabsatz von knapp 47,5 Millionen Reifen im Ersatzgeschäft konnte die Branche ein Plus von beachtlichen 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. Dieser Zuwachs ist besonders bemerkenswert, wenn man das schwierige gesamtwirtschaftliche Umfeld berücksichtigt, in dem er erzielt wurde. Die Zahlen zeigen, dass der Reifenmarkt trotz inflationärer Tendenzen und wirtschaftlicher Unsicherheiten robust geblieben ist.
Der Siegeszug der Ganzjahresreifen
Der auffälligste Trend im Reifenmarkt ist zweifellos der kontinuierliche Aufstieg der Ganzjahresreifen. Im Consumer-Segment, das Pkw- und Leicht-Lkw-Reifen umfasst, konnten Ganzjahresreifen ihren Marktanteil auf beeindruckende 36 Prozent steigern. Dies entspricht einem Zuwachs von drei Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Bei Pkw-Reifen verzeichneten Ganzjahresreifen sogar ein Absatzplus von 17 Prozent, bei Leicht-Lkw-Reifen waren es 12,3 Prozent. Diese Zahlen unterstreichen den Paradigmenwechsel, den der Markt derzeit erlebt.
Gründe für den Ganzjahresreifen-Boom
Die Gründe für den anhaltenden Erfolg der Ganzjahresreifen sind vielfältig. Ein wesentlicher Faktor ist der Klimawandel, der zu milderen Wintern führt und die Notwendigkeit spezieller Winterreifen in vielen Regionen Deutschlands reduziert. Gleichzeitig spielen wirtschaftliche Überlegungen eine wichtige Rolle. Viele Autofahrer sehen in Ganzjahresreifen eine Möglichkeit, Kosten zu sparen – sowohl bei der Anschaffung eines zweiten Reifensatzes als auch bei der saisonalen Umrüstung.

Der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) weist jedoch darauf hin, dass die erwarteten Einsparungen oft geringer ausfallen als erhofft. Ganzjahresreifen haben in der Regel eine geringere Laufleistung als der kombinierte Einsatz von Sommer- und Winterreifen. Zudem benötigen sie entgegen der landläufigen Meinung regelmäßige Wartung und Pflege für einen dauerhaft sicheren Einsatz. Dennoch scheint der Wunsch nach Vereinfachung und vermeintlicher Kostenersparnis bei vielen Verbrauchern den Ausschlag für die Kaufentscheidung zu geben.
Die Entwicklung im Detail: Consumer-Segment
Das Consumer-Segment, das Pkw- und Leicht-Lkw-Reifen umfasst, macht mit 45 Millionen verkauften Einheiten den Löwenanteil des Reifenersatzgeschäfts aus. Hier zeigt sich der Trend zu Ganzjahresreifen besonders deutlich. Während der Absatz von Sommerreifen sowohl bei Pkw (-1,9 Prozent) als auch bei Leicht-Lkw (-1,6 Prozent) zurückging, konnten Winterreifen im Pkw-Segment noch ein Plus von 6,4 Prozent verzeichnen. Bei Leicht-Lkw-Reifen blieb der Absatz von Winterreifen mit einem minimalen Zuwachs von 0,3 Prozent praktisch unverändert.
Die Verschiebung der Marktanteile wird besonders deutlich, wenn man einen Blick in die Vergangenheit wirft. Noch 2016, als Ganzjahresreifen erstmals explizit in der Marktstatistik ausgewiesen wurden, verteilte sich der Absatz im Consumer-Segment auf etwa 50 Prozent Winterreifen, 36 Prozent Sommerreifen und lediglich 14 Prozent Ganzjahresreifen. Die aktuelle Verteilung mit 38 Prozent Winterreifen, 26 Prozent Sommerreifen und 36 Prozent Ganzjahresreifen zeigt, wie dramatisch sich der Markt in weniger als einem Jahrzehnt verändert hat.
Lkw-Segment: Gegenläufige Entwicklungen
Im Segment der Lkw-Reifen, das etwa 5 Prozent des Gesamtmarktes ausmacht, zeigen sich interessante Entwicklungen. Während der Absatz von Neureifen um 3,8 Prozent auf knapp 1,84 Millionen Stück zulegte, ging der Verkauf runderneuerte Reifen um 4,8 Prozent auf 0,63 Millionen Stück zurück. Diese Verschiebung zugunsten von Neureifen ist aus ökologischer Sicht bedenklich, da runderneuerte Reifen deutlich weniger Rohstoffe verbrauchen und einen geringeren CO2-Ausstoß bei der Produktion verursachen. Der BRV betont die Bedeutung der Runderneuerung als Beispiel für funktionierende Kreislaufwirtschaft und sieht hier noch ungenutztes Potenzial.
Vertriebskanäle im Wandel
Die Distributionsanalyse des BRV zeigt, dass der spezialisierte Reifenfachhandel weiterhin der dominierende Absatzkanal bleibt. Im Lkw-Segment liegt sein Marktanteil stabil bei 90 Prozent. Im Pkw-Segment konnten der Reifenfachhandel und freie Kfz-Werkstätten ihren gemeinsamen Marktanteil sogar auf 71,3 Prozent steigern. Autohäuser und markengebundene Werkstätten verloren leicht an Boden und kamen auf 19,8 Prozent Marktanteil. Bemerkenswert ist der Rückgang des B2C-Onlinehandels von 6,7 auf 5,5 Prozent, was darauf hindeutet, dass viele Kunden beim Reifenkauf weiterhin auf persönliche Beratung und Service setzen.
Wirtschaftliche Entwicklung der Branche
Trotz steigender Kosten, insbesondere im Personalbereich (plus 8,3 Prozent) und bei den Raumkosten (plus 2,7 Prozent), konnte die Reifenhandels- und -servicebranche 2024 positive betriebswirtschaftliche Ergebnisse erzielen. Der durchschnittliche Umsatz stieg um 5,9 Prozent, der Gesamt-Rohertrag sogar um 9,6 Prozent. Die Rendite verbesserte sich von 0,4 Prozent im Vorjahr auf durchschnittlich 1,4 Prozent vom Umsatz. Besonders erfolgreich waren klassische, nicht-filialisierte Reifenhandelsbetriebe mit einer Umsatzrendite von 4,6 Prozent.
Ausblick auf 2025: Stabilität mit leichtem Wachstum
Für das laufende Jahr 2025 rechnet der BRV mit einer weitgehend stabilen Entwicklung. Im Consumer-Segment wird eine Stagnation erwartet, während für das Lkw-Segment ein leichtes Wachstum von 1,2 Prozent prognostiziert wird. Der Trend zu Ganzjahresreifen dürfte sich fortsetzen, wenn auch mit abgeschwächter Dynamik. Für Ganzjahresreifen wird ein Wachstum von 8,1 Prozent erwartet, wobei dies hauptsächlich zu Lasten der Winterreifen gehen könnte.
Ein interessanter Aspekt für 2025 ist die Auswirkung der neuen Kennzeichnungsvorschriften für Winterreifen. Seit Oktober 2024 gelten nur noch Reifen mit dem Schneeflockensymbol als gesetzlich anerkannte Winterreifen. Dies könnte zu einem Rückgang der Nachfrage nach Winterreifen führen, da viele Autofahrer bereits im Vorjahr ihre alten M+S-Reifen ausgetauscht haben.
Fazit: Ein Markt im Umbruch
Der deutsche Reifenmarkt befindet sich in einer Phase des Umbruchs. Der Trend zu Ganzjahresreifen verändert nicht nur das Kaufverhalten der Verbraucher, sondern stellt auch die Hersteller und den Handel vor neue Herausforderungen. Während die wirtschaftlichen Ergebnisse der Branche positiv stimmen, bleiben Fragen zur Nachhaltigkeit und Sicherheit von Ganzjahresreifen im Vergleich zu spezialisierten Saisonreifen offen.
Für Verbraucher bedeutet diese Entwicklung eine sorgfältige Abwägung zwischen Komfort, Kosten und Sicherheit. Experten raten dazu, die Entscheidung für Ganzjahresreifen vom individuellen Fahrprofil und den lokalen klimatischen Bedingungen abhängig zu machen. Der Reifenhandel steht vor der Aufgabe, seine Beratungskompetenz weiter zu stärken und flexibel auf die sich ändernden Kundenbedürfnisse zu reagieren.
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich der Trend zu Ganzjahresreifen fortsetzt oder ob eine Rückbesinnung auf spezialisierte Reifen einsetzt. Fest steht: Der Reifenmarkt bleibt ein dynamisches und spannendes Feld, das sowohl für die Branche als auch für Verbraucher voller Herausforderungen und Chancen ist.

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