
Mercedes-Benz Trucks bricht Guiness-Weltrekord mit eActros 600 - Bildnachweis: Mercedes Benz Trucks
Rückwärts immer – vorwärts nimmer: Mercedes eActros 600 mit Weltrekord und Botschaft
Was wie eine kuriose Schlagzeile klingt, hat ein ernstes Fundament. Mercedes-Benz Trucks hat mit dem eActros 600 einen neuen Weltrekord aufgestellt – 124,7 Kilometer rückwärts, mit Sattelzug. Eine Demonstration fahrerischer Ausdauer, technischer Zuverlässigkeit und gesellschaftlicher Botschaften, verpackt in eine öffentlichkeitswirksame Aktion. Doch was steckt dahinter?
Rückwärts bis zum Ziel – und weiter
Eine Strecke, länger als von Berlin nach Leipzig – und das komplett im Rückwärtsgang: Was der Mercedes eActros 600 auf der Motorsport Arena Oschersleben geleistet hat, ist nicht nur ein spektakulärer Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, sondern auch ein technisches Ausrufezeichen. 124,7 Kilometer mit Sattelauflieger im Rückwärtsgang – das gab es bislang noch nicht elektrisch und nicht in dieser Länge. Der bisherige Rekord eines US-amerikanischen Diesel-Lkw lag bei rund 89 Kilometern.

Durchschnittlich 20 Stundenkilometer, 476 Kurven, über sechs Stunden reine Fahrzeit: Die Herausforderungen dieses Experiments waren real – und alles andere als symbolisch. Denn neben der fahrerischen Leistung ging es vor allem um drei Themen: die Zukunft der E-Mobilität im schweren Fernverkehr, die Verkehrssicherheit im Lkw-Alltag und die Wertschätzung für Berufskraftfahrer.
Wer fährt hier eigentlich rückwärts?
Am Steuer saß Marco Hellgrewe, ein 50-jähriger Bundeswehroffizier aus der Nähe Berlins. Er ist kein Neuling auf diesem Terrain: Bereits 2008 stellte er einen ersten Rückwärtsrekord auf – damals noch mit Dieseltechnik und 64 Kilometern Strecke. Die Idee zur aktuellen Aktion stammt erneut von ihm. Für Hellgrewe ist der Rekord nicht nur sportlicher Ehrgeiz, sondern auch ein persönliches Anliegen. Als Prüfer junger Lkw-Fahrschüler liegt ihm das Fahrer-Image besonders am Herzen. Entsprechend wurde die Aktion von Initiativen wie PROFI e.V. („Pro Fahrer-Image“) und Blicki e.V., die sich für Verkehrssicherheit bei Kindern einsetzen, flankiert.
Nach dem Rekord auf dem abgesperrten Rundkurs war eine Rückwärtsfahrt von rund 30 Kilometern auf öffentlichen Straßen nach Halberstadt geplant – Ziel: das neue Global Parts Center von Daimler Truck. Die symbolische Verbindung von Fahrerleistung, Fahrzeugtechnik und Unternehmensstandort war dabei klar gewollt, bleibt aber in der Sache konsequent.
Der eActros 600: elektrische Langstrecke mit Anspruch
Im Mittelpunkt des Geschehens: der eActros 600, das neue Flaggschiff von Mercedes-Benz Trucks für den schweren Fernverkehr. Seit Dezember 2024 wird das Modell an Kunden ausgeliefert, die Serienproduktion läuft im Werk Wörth. Technisch orientiert sich der E-Lkw konsequent an den Anforderungen langstreckentauglicher Diesel-Lkw. Drei Batteriepakete mit zusammen 621 Kilowattstunden Kapazität ermöglichen im Regelbetrieb bis zu 500 Kilometer Reichweite – und unter optimalen Bedingungen sogar über 1.000 Kilometer täglich, wenn unterwegs nachgeladen wird.
Die Batterien nutzen LFP-Zelltechnologie (Lithium-Eisenphosphat), die als besonders langlebig und thermisch robust gilt. Bis zu 1,2 Millionen Kilometer Laufleistung in zehn Jahren werden angestrebt, mit einem State of Health (SoH)von über 80 Prozent am Ende der Nutzungszeit. Technisch ausgelegt ist der eActros 600 für 44 Tonnen Gesamtzuggewicht, mit Standardauflieger ergibt sich eine Nutzlast von rund 22 Tonnen. Die elektrische Antriebsachse stammt aus eigener Entwicklung und soll durch ihre Effizienz entscheidend zur Reichweite beitragen.
Preisstruktur des eActros 600
Auch wenn Daimler Truck die konkreten Preise des eActros 600 nicht in jedem Land offen kommuniziert, liegt der Listenpreis in Deutschland – je nach Ausstattung – deutlich über dem vergleichbaren Dieselmodell. Aktuell kann je nach Spezifikation von rund 350.000 bis über 400.000 Euro ausgegangen werden. Förderprogramme des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) sowie Steuerbefreiungen können diesen Preis jedoch substanziell senken. Entscheidend ist dabei die Betriebsdauer, bei der die deutlich geringeren Energie- und Wartungskosten des E-Lkw zunehmend Vorteile bieten.
Sicherheit durch Technik: MirrorCam und Assistenzsysteme
Ein Aspekt, der gerade beim Rückwärtsfahren besonders zum Tragen kommt, ist die Sicht. Der eActros 600 setzt auf ein kamerabasiertes Spiegelsystem, die sogenannte MirrorCam, die nicht nur tote Winkel reduziert, sondern auch beim Manövrieren präzisere Sicht bietet. Hinzu kommen weitere Assistenzsysteme zur Kollisionsvermeidung, Spurführung und Abstandskontrolle. Für Berufskraftfahrer ist diese Technik eine wesentliche Unterstützung im Alltag – nicht zuletzt beim täglichen Rangieren an Logistikzentren und Verladerampen.
Symbolkraft mit Substanz?
Natürlich bleibt bei einer Rekordfahrt dieser Art die Frage: Ist das mehr als eine PR-Aktion? Die Antwort fällt differenziert aus. Der Rückwärtsrekord allein ändert nichts an den strukturellen Herausforderungen des Güterverkehrs, der Ladeinfrastruktur oder der CO₂-Bilanz von Logistikprozessen. Aber die Verbindung technischer Demonstration, fahrerischer Leistung und gesellschaftlicher Botschaft ist gelungen. Das mediale Echo bestätigt: Aufmerksamkeit wurde erreicht – und die Diskussion über Fahrerimage, alternative Antriebe und Sicherheitsbewusstsein sinnvoll angestoßen.
Der Standort Halberstadt: Zentrum für Ersatzteile weltweit
Das Ziel der Rückwärtsfahrt – das Global Parts Center in Halberstadt – ist mehr als ein logistisches Symbol. Auf 270.000 Quadratmetern Bruttogrundfläche wird hier künftig die weltweite Ersatzteilversorgung für Mercedes-Benz Trucks gesteuert. Etwa 20 regionale Zentren weltweit, darunter auch Standorte in Brasilien, der Türkei und China, sollen von Halberstadt aus versorgt werden. Der Standort ist logistisch sinnvoll gewählt – im Herzen Deutschlands und mit Anbindung an das Fernstraßennetz. Die Inbetriebnahme erfolgt gestaffelt, offiziell eröffnet wird das Zentrum am 10. Juli 2025.
Infrastruktur bleibt Engpass
Die größte Hürde für den flächendeckenden Einsatz elektrischer Lkw bleibt die Ladeinfrastruktur. Trotz Pilotprojekten, etwa durch das Daimler-eigene Konzept „Semi-Public Charging“ und das Joint Venture Milence (gemeinsam mit der Traton Group und der Volvo Group), ist der Fortschritt schleppend. Noch gibt es in Europa weniger als 1.000 Ladepunkte für schwere Nutzfahrzeuge. Bis 2030 will Daimler Truck mehr als 3.000 Schnellladepunkte schaffen. Bis dahin bleibt der Reichweitenvorteil des eActros 600 zwar beeindruckend – aber stark vom Einsatzprofil abhängig.
Eine Fahrt mit Signalwirkung
Der neue Weltrekord von Mercedes-Benz Trucks im Rückwärtsfahren ist mehr als ein Showeffekt. Er demonstriert die technische Reife eines vollelektrischen Lkw-Flaggschiffs, das zunehmend unter realen Bedingungen überzeugen kann. Gleichzeitig setzt die Aktion bewusst Zeichen in Richtung Verkehrssicherheit und Fahrerwertschätzung – zwei Themen, die im Schatten der Elektrifizierungsdebatte oft untergehen. Auch wenn nicht jede Spedition 124 Kilometer rückwärts fahren muss: Der eActros 600 hat bewiesen, dass er weit mehr kann als Symbolik.
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