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Technikrevolution im Akku: Wie Volkswagen seine Elektroauto-Strategie neu aufstellt

Volkswagens Zukunftspläne: ID. Every1 und ID. 2all ebnen den Weg für bezahlbare E-Mobilität - Bildnachweis: VW

Warum der Batterie‑Umbau so erfolgskritisch ist

Volkswagen steht vor einem tiefgreifenden Wandel in der Batteriearchitektur seiner Elektroautos. Mit neuen Zellchemien, innovativen Aufbauprinzipien und einer deutlichen Neuausrichtung der Plattformstrategie will der Konzern eine bisher nicht gekannte Effizienz und Kostensenkung realisieren. Die neue Ausrichtung beginnt nicht in einem fernen Jahrzehnt, sondern ganz konkret ab 2026 – mit dem ID.2 und weiteren Modellen der sogenannten Electric Urban Car Family. Ziel ist es, E-Mobilität endlich massentauglich und bezahlbar zu machen. Doch was steckt wirklich hinter der neuen Akku-Strategie und was bedeutet sie für künftige Kunden?

Zellchemie im Wandel: LFP statt NMC

Lange war bei Volkswagen die NMC-Zellchemie der Standard – das steht für Nickel, Mangan und Kobalt, ein Materialmix, der hohe Energiedichte, aber auch hohe Produktionskosten mit sich bringt. Nun folgt der Kurswechsel hin zu Lithium-Eisen-Phosphat – kurz LFP. Die hier zugrunde liegende Zellchemie ist robuster, günstiger und verzichtet auf Kobalt, was ökologische und ethische Herausforderungen im Rohstoffabbau entschärft. Sie ist jedoch etwas schwerer und speichert auf gleichem Volumen weniger Energie als NMC. Dennoch soll LFP künftig die Basis aller neuen Einsteiger-Elektroautos von VW werden – zuerst im ID.2, ab 2027 auch im noch kompakteren ID.1. Die Preismarke sinkt damit von rund 30.000 Euro beim ID.3 auf unter 25.000 Euro beim ID.2 und perspektivisch sogar auf 20.000 Euro beim ID.1.

Plattform‑Strategie MEB Plus und Cell‑to‑Pack: Der Schlüssel zur Effizienz

Neben der Zellchemie ändert Volkswagen auch die Art und Weise, wie Akkus ins Fahrzeug eingebaut werden. Statt klassischem Zellmodul-Paket setzt man künftig auf das sogenannte Cell-to-Pack-Prinzip. Dabei werden die prismatischen Zellen direkt in das Batteriegehäuse integriert, ohne vorher zu Modulen zusammengebaut zu werden. Das spart Bauteile, Gewicht und Fertigungszeit. Durch den Entfall von Zwischenschichten sinkt nicht nur die Komplextät, sondern es verbessert sich auch die Wärmeabführung – was insbesondere bei Schnellladevorgängen eine wesentliche Rolle spielt.

Diese Umstellung erfolgt im Rahmen einer weiter optimierten Fahrzeugarchitektur: MEB Plus. Die Plattform ist eine konsequente Weiterentwicklung des bekannten modularen Elektrifizierungsbaukastens und bildet die Basis für gleich fünf neue Kleinwagen mit Frontantrieb. Sie werden nicht nur günstiger sein, sondern auch kompakter und effizienter. Die Ladeelektronik bleibt leistungsfähig: Alle VW-Elektroautos – auch mit LFP – verfügen über eine aktive Batterie-Vorkonditionierung. Das soll sicherstellen, dass auch bei Kälte keine Ladeprobleme auftreten. Ein klarer Vorteil gegenüber manchen Wettbewerbern, bei denen Ladegeschwindigkeit und Reichweite im Winter stark einbrechen.

Premiere auf der IAA 2025: Der Cupra Raval wird am Hauptsitz von Seat in Martorell nahe Barcelona produziert – Bildnachweis: Cupra

Preisgestaltung: Neue Segmente erreichen

Die nächsten Modellgenerationen, darunter der ID.2 und der SUV-Ableger ID.2 X, aber auch der Cupra Raval und der Skoda Epiq, werden alle auf dieser neuen Basis aufbauen. Damit läutet Volkswagen eine neue Preisklasse im Segment der Elektro-Kleinwagen ein, die bislang von wenigen Fahrzeugen besetzt wird. Auch der ID.3, das bislang meistverkaufte MEB-Modell, bekommt 2026 ein umfassendes Facelift, das ebenfalls auf den neuen Zellbaukasten und Plattformverbesserungen zurückgreifen wird. Kunden werden künftig die Wahl zwischen LFP-Akkus in Basisvarianten und NMC-Batterien in leistungsstärkeren Modellen haben. Letztere bleiben dem Premium- oder Sportbereich vorbehalten, etwa im angekündigten ID.2 GTI.

Volkswagen ID. 2all concept – Bildnachweis: Volkswagen / Ingo Barenschee

Langfristig will Volkswagen noch weiter gehen. Die Entwicklung der Scalable Systems Platform (SSP) ab 2028/2029 soll dann nicht nur Akkutechnik und Ladeleistung weiter verbessern – mit einem 800-Volt-Bordnetz als Standard -, sondern auch Software-Architektur und Produktionslogik vereinheitlichen. Dabei werden die heute gewonnenen Erkenntnisse aus MEB Plus und Cell-to-Pack direkt in die nächste Generation einfließen.

Der Wandel betrifft jedoch nicht nur technische Details, sondern ist ein zentrales Element der gesamten Preisstrategie. Die günstigeren LFP-Zellen reduzieren die Herstellungskosten pro Kilowattstunde deutlich. Zusammen mit der Standardisierung der Plattformarchitektur und der Konzentration der Produktion an wenigen europäischen Standorten – etwa in Martorell in Spanien – will Volkswagen die Basis für Skaleneffekte schaffen, wie sie bislang eher Tesla zugeschrieben wurden.

Ausgewogene Chancen mit Vorbehalten

Abzuwarten bleibt, wie sich die geringere Energiedichte der LFP-Akkus im realen Alltagsbetrieb auswirkt. Erste Tests deuten darauf hin, dass bei normalem Fahrverhalten und typischen Reichweitenansprüchen im Stadtverkehr kaum Nachteile zu spüren sind. In kälteren Klimazonen können LFP-Zellen ohne aktives Thermomanagement jedoch spürbare Reichweitenverluste zeigen. Volkswagen begegnet dieser Herausforderung durch intelligente Batterieheizung und Ladestrategien – eine technische Lösung, die bisher nur wenige Hersteller in der Breite anbieten.

Alles in allem zeigt sich: Der strategische Umbau bei Volkswagen ist nicht bloß ein technisches Detail im Hintergrund, sondern greift tief in das Produktportfolio, die Preisgestaltung und die Positionierung des Konzerns am Elektromarkt ein. Mit der neuen Zellchemie, dem Cell-to-Pack-Aufbau und der Plattform MEB Plus stellt sich der Konzern deutlich breiter auf – nicht nur gegenüber chinesischen Konkurrenten, sondern auch im Hinblick auf die eigene Wirtschaftlichkeit. Das Ziel, bis Ende des Jahrzehnts auch mit kleineren Modellen Gewinne zu erzielen, scheint damit realistischer als noch vor wenigen Jahren.

SSP‑Plattform 2029: Blick in die Zukunft

Das große Finale der aktuellen Roadmap ist bereits in Sicht: Ab der neunten Generation wird der VW Golf rein elektrisch, basierend auf der neuen SSP-Architektur. Damit schließt sich der Kreis – vom radikalen Technologiewechsel über preiswerte Einstiegsmodelle bis hin zur elektrischen Neuauflage des bekanntesten VW-Modells überhaupt. Ein mutiger, aber nachvollziehbarer Weg, der das Potenzial hat, die Elektromobilität in Europa aus der Nische heraus in den Alltag zu bringen.

Realistischer Wandel statt leere Versprechen

Volkswagens Roadmap zeigt einen klaren Kurswechsel: Weg von hochpreisigem Nischen‑Elektroauto, hin zu skalierbarer, kostenoptimierter Massenmobilität. Die Kombination aus LFP‑Zellchemie, Cell‑to‑Pack‑Modulbau und Plattform‑Evolution ist technisch durchdacht und wirtschaftlich nachvollziehbar. Dennoch gilt es, die tatsächlichen Reichweiten, Realverbrauch und Performance in der Praxis abzuwarten, um beurteilen zu können, ob LFP-Modelle auch in Nordeuropa und in der Langzeitnutzung überzeugen. Die Roadmap kündigt eine Technikrevolution im Volkswagen-Konzern an: LFP‑Batterien und Cell‑to‑Pack ebnen den Weg zum bisher sträflichst vernachlässigten „20‑K‑EV“ an.