XXL am Alex: In Berlin hängt ein 880 qm Motiv der neuen Markenkampagne von Volkswagen Nutzfahrzeuge - Bildnachweis: VWN / Volkswagen
Wie Volkswagen Nutzfahrzeuge den Raum neu definiert
Es sind oft die unscheinbaren Orte, an denen sich Wandel am frühesten zeigt – Parkplätze vor Baumärkten, Campingplätze oder Autobahnabschnitte, auf denen ein vertrautes Fahrzeug immer wieder auftaucht. Dort beginnt die neue Geschichte von Volkswagen Nutzfahrzeuge, die jetzt mit einer Markenkampagne startet, die nicht nur Bilder von Transportern zeigt, sondern ein ganzes Lebensgefühl hinterfragt. Die Botschaft lautet: „Raum für unendliche Möglichkeiten.“ Der Titel klingt groß, fast grenzenlos – und will genau das sein. Doch hinter diesem Slogan steckt eine strategische Neuausrichtung einer Marke, die im Spannungsfeld zwischen Tradition und technologischem Aufbruch steht.
Seit dem 14. Oktober 2025 läuft die Kampagne in 17 deutschen Städten, flankiert von TV- und Onlineauftritten, Printanzeigen und großformatiger Außenwerbung. Am Alexanderplatz in Berlin wird ab November ein 880 Quadratmeter großes Plakat zu sehen sein – eines der größten seiner Art in Deutschland. Die Maßnahme soll Aufmerksamkeit schaffen, doch inhaltlich geht es Volkswagen Nutzfahrzeuge um mehr als Reichweite. Dahinter steht der Versuch, den Wandel der Marke sichtbar zu machen, die seit Jahrzehnten für verlässliche Mobilität steht und nun den Anspruch formuliert, Gestalter einer neuen, digitalen Nutzfahrzeugkultur zu werden.
Das Ziel wirkt klar: VWN will sich nicht länger nur als Hersteller von Transportern positionieren, sondern als Anbieter von Mobilitätslösungen für Menschen, die etwas bewegen – beruflich wie privat. Dabei reicht das Spektrum der angesprochenen Zielgruppen vom Handwerksbetrieb über Familien bis hin zu Start-ups, die urbane Logistikkonzepte neu denken. Deshalb setzt die Kampagne auf Authentizität statt Inszenierung. Sie zeigt keine Models, sondern Menschen in realen Alltagssituationen, die den Raum – sinnbildlich wie praktisch – nutzen. Das ist zugleich eine Abkehr von früheren, oftmals idealisierten Werbebildern, die primär den robusten Charakter der Fahrzeuge betonten.
Die neue Markenplattform „Brand ID.“ bildet das Fundament der Kommunikationsstrategie. Sie soll die Werte, das Markenversprechen und die Mission bündeln und damit einen konsistenten Auftritt über alle Kanäle hinweg schaffen. In der Kommunikation steht dabei das Verhältnis von Funktionalität und Emotion im Vordergrund: VWN will nicht nur Werkzeuge liefern, sondern Freiräume ermöglichen. Dennoch bleibt die Frage: Wie glaubwürdig kann diese Erweiterung einer Nutzfahrzeugmarke sein, die jahrzehntelang mit Schraubenschlüsseln und Werkstattalltag assoziiert wurde?
Ein Blick auf die Modellpalette zeigt, dass der Wandel technologisch bereits eingeläutet ist. Neben bewährten Namen wie Caddy, Crafter oder Amarok trägt heute der vollelektrische ID. Buzz die Zukunftsambitionen der Marke. Er ist inzwischen in mehreren Varianten erhältlich – als Pkw, als Cargo-Version für Handwerksbetriebe und in Kürze auch als autonomes Testfahrzeug unter der Bezeichnung ID. Buzz AD. Damit will Volkswagen Nutzfahrzeuge das erste in Europa serienreife, vollständig autonome Fahrzeug dieser Klasse anbieten. Die Preisspanne innerhalb des deutschen Angebots ist ebenso breit gefächert. Der Caddy beginnt bei rund 28.000 Euro, der Multivan bei etwa 49.000 Euro, während der ID. Buzz Cargo ab etwa 58.000 Euro kostet. Der Klassiker unter den Reisemobilen, der neue California, übersteigt mit gehobener Ausstattung leicht die 70.000-Euro-Marke. Damit positioniert sich VWN klar im oberen Segment, setzt aber auf einen Mehrwert, der über reine Fahrzeugdaten hinausgeht – etwa durch Software-Updates, Konnektivitätsdienste und flexiblere Nutzungskonzepte.
Die Kampagne verschweigt diese wirtschaftliche Positionierung nicht, sondern interpretiert sie über Emotionen. Unter anderem werden Familien gezeigt, die den Bulli als Freizeitbegleiter erleben, ebenso wie Handwerker, die in ihrem Transporter ein Werkzeug der Selbstverwirklichung sehen. Die Motive wirken bewusst unaufgeregt und nahbar. In der Tonalität erinnert das an Werbeansätze, wie sie in den letzten Jahren vermehrt bei Elektroautoherstellern zu beobachten sind, die Technik und Lebensstil miteinander verweben.
Deshalb lässt sich die Initiative auch als Versuch lesen, das Markenimage zu öffnen, ohne die eigene Vergangenheit zu verleugnen. Der VW Bulli bleibt – trotz aller Neuerfindung – Kernfigur der Markenidentität. Seit 1950 sind mehr als 12,5 Millionen Fahrzeuge gebaut worden, die meisten davon im Stammwerk Hannover. Hier arbeitet ein Großteil der über 21.000 Beschäftigten, die täglich Nutzfahrzeuge für Gewerbe und Privatkunden fertigen. Doch VWN will längst mehr als Transport- oder Freizeitfahrzeuge liefern: Der elektrische Antrieb soll neue Geschäftsfelder erschließen, etwa mit autonomen Shuttle-Diensten oder intelligenter Flottensteuerung.
Allerdings ist der Anspruch, „Raum für unendliche Möglichkeiten“ zu bieten, ambitioniert. Die Konkurrenz schläft nicht. Hersteller wie Mercedes-Benz Vans oder Ford Pro investieren ebenfalls massiv in digitale Dienstleistungen und nachhaltige Antriebe. VWN muss daher zeigen, dass Marketing und Produktstrategie glaubwürdig ineinandergreifen. Besonders bei den batterieelektrischen Modellen gilt es, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen. Noch immer liegt der ID. Buzz in der Reichweite unter einigen Konkurrenten, und auch die Ladeleistung wird von Fachleuten teils kritisch gesehen. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Nachfrage nach elektrischen Nutzfahrzeugen in Deutschland wächst, wenn auch moderater als erhofft.
Aber wer heute auf Baustellen, Werkhöfen oder Festivalgeländen unterwegs ist, sieht zunehmend das VWN-Logo in neuer Rolle: Es steht dort nicht mehr nur für Arbeit, sondern auch für Selbstbestimmung, Reisen und Freizeit. Die Marke sucht den Dialog mit einer Generation, die Mobilität als multifunktionales Erlebnis versteht. Vielleicht ist genau das der Grund, warum die neue Kampagne trotz aller Markenstrategie so natürlich wirkt. Denn sie knüpft an etwas an, das längst Teil der Alltagskultur ist – an das Vertrauen in ein Fahrzeug, das schon immer mehr war als ein Transportmittel.

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