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Volkswagen in China: Drei Studien, drei Strategien – was hinter der neuen ID-Offensive steckt

Dreifache Weltpremiere: Volkswagen zeigt in Shanghai (von links) die Konzeptfahrzeuge ID. Era, ID. Aura und ID. Evo - Bildnachweis: VW

VW zeigt in Shanghai, wie es in China wieder angreifen will und sortiert die ID-Zukunft neu

Volkswagen nutzt die Auto Shanghai 2025 nicht nur zur Präsentation von drei neuen Konzeptfahrzeugen – ID. Aura, ID. Era und ID. Evo –, sondern auch zur Verdeutlichung einer strategischen Neuausrichtung auf dem für den Konzern wichtigsten Automobilmarkt der Welt. Was auf den ersten Blick wie eine klassische Messepremiere wirkt, ist in Wirklichkeit der sichtbare Auftakt eines umfassenden Erneuerungsprozesses für das China-Geschäft. Ein Prozess, der technologische Präzision, regionale Differenzierung und digitale Services verbinden soll – und dabei auf eine neue Geschwindigkeit in der Entwicklung setzt.

VW ID. Evo – Bildnachweis: VW

„In China, für China“ – was die neue Strategie bedeutet

Mit mehr als 30 angekündigten neuen Modellen bis 2027, darunter rund 20 sogenannte „New Energy Vehicles“ (NEV), reagiert Volkswagen auf einen rasanten Wandel des chinesischen Automarkts. Die Bedürfnisse chinesischer Kunden, vor allem in urbanen Regionen, unterscheiden sich teils deutlich von denen in Europa oder Nordamerika. Schnelle Innovationszyklen, hohe Erwartungen an digitale Bedienlogik, KI-gestützte Assistenzsysteme und differenzierte Fahrzeugsegmente erfordern eine eigenständige Produktplanung.

VW ID. Aura – Bildnachweis: VW

In diesem Kontext ist die Präsentation von ID. Aura, ID. Era und ID. Evo mehr als ein Design-Statement. Jedes der drei Fahrzeuge ist einem spezifischen Joint Venture zugeordnet und steht beispielhaft für eine Zielgruppensegmentierung, die technologisch ebenso wie gestalterisch abgestimmt wurde. Während ID. Era als Range-Extender-SUV für Langstreckenfahrer konzipiert ist, adressiert ID. Evo eine junge, digital-affine Klientel mit Premiumanspruch. ID. Aura wiederum nimmt preissensible Käuferschichten ins Visier, ohne auf moderne Technik verzichten zu müssen.

VW ID. Era – Bildnachweis: VW

Technologischer Unterbau: Plattformvielfalt mit klarer Zielrichtung

Volkswagen setzt bei den drei Studien auf unterschiedliche technologische Plattformen, was Rückschlüsse auf die geplanten Serienmodelle erlaubt. Der ID. Era basiert auf einer Architektur mit Range-Extender – einem Verbrennungsmotor, der als GenErator die Batterie lädt. Dieses Konzept erlaubt eine Gesamtreichweite von mehr als 1.000 Kilometern, davon etwa 300 Kilometer rein elektrisch. Der Fokus liegt hier auf Kunden, die trotz Elektromobilität nicht auf hohe Reichweiten verzichten möchten und im Alltag auf eine Kombination aus Verbrenner- und Elektroantrieb setzen.

VW ID. Evo – Bildnachweis: VW

Der ID. Evo hingegen basiert auf einer 800-Volt-Architektur – ein deutliches Signal in Richtung Schnellladefähigkeit und Performance. Die Plattform dürfte eine Ladeleistung von bis zu 350 kW ermöglichen, vergleichbar mit Modellen wie dem Porsche Taycan oder dem Hyundai Ioniq 5. Technisch integriert ist eine zonale Elektronikstruktur, die Over-the-Air-Updates in hoher Frequenz erlaubt und damit eine stetige Weiterentwicklung der Softwarearchitektur sicherstellen soll.

VW ID. Era – Bildnachweis: VW

ID. Aura schließlich steht auf der neuen Compact Main Platform (CMP), die eigens für den chinesischen Markt entwickelt wurde. Auch hier kommt die zonale Architektur zum Einsatz, ergänzt durch ein KI-basiertes Bediensystem mit humanoidem Interface. Ziel ist es, auch im unteren Preissegment ein modernes, digital durchgängiges Nutzererlebnis zu bieten – was angesichts der harten chinesischen Konkurrenz durch Marken wie BYD, Nio oder Xpeng kein Luxus, sondern ein Muss ist.

VW ID. Aura – Bildnachweis: VW

Design: Differenziert, aber markentypisch

Trotz ihrer klar unterscheidbaren Zielgruppen sind die drei Studien als Mitglieder der Volkswagen-Familie erkennbar. Die Formensprache erinnert in vielen Details an den im Vorjahr gezeigten ID. Code – einem Showcar, das gewissermaßen die neue Design-DNA für den chinesischen Markt markiert. Jedes der Joint Ventures hat dabei eigene Akzente gesetzt. Der ID. Evo wirkt sportlich-flächig, der ID. Aura eher nüchtern-technisch, der ID. Era monumental und aufgeräumt. Es ist ein Spagat zwischen Differenzierung und Markenkern, der in dieser Phase durchaus Sinn ergibt – entscheidend wird sein, wie diese Gestaltung in der Serie konkretisiert wird.

Digitalisierung und Automatisierung: Stufe 2++ als nächster Schritt

Ein gemeinsames Merkmal aller drei Studien ist die angekündigte Fähigkeit zum hochautomatisierten Fahren nach Level 2++. Damit soll es möglich sein, unter bestimmten Bedingungen automatisiert zu überholen, abzubiegen oder in den Verkehr einzufädeln – stets unter Überwachung des Fahrers. Im chinesischen Stadtverkehr kann diese Funktion echten Komfortgewinn bedeuten, stellt aber auch hohe Anforderungen an Sensorik, Software und EchtzeitvErarbeitung. Volkswagen betont dabei die Integration von KI-gestützten Assistenzsystemen und humanoiden Benutzeroberflächen – wie serienreif diese Lösungen tatsächlich ab 2026 oder 2027 sein werden, bleibt vorerst offen.

Preise: Noch offen – aber erste Schätzungen möglich

Offizielle Preise für die drei Konzeptfahrzeuge wurden noch nicht kommuniziert. Jedoch lässt sich auf Basis der bisherigen Marktpositionierung und Plattformstrategie eine grobe Einschätzung treffen:

Für den ID. Aura, der im preissensiblen A-Segment angesiedelt ist, wäre ein Einstiegspreis zwischen umgerechnet 22.000 und 28.000 Euro denkbar – insbesondere, wenn er gegen Modelle wie den BYD Qin oder den MG4 konkurrieren soll.

Der ID. Evo, als Premium-orientiertes SUV mit 800-Volt-Technologie und digitalem Fokus, dürfte eher im Bereich von 45.000 bis 55.000 Euro liegen, abhängig von Ausstattung und Batteriegröße.

Beim ID. Era mit Range-Extender und Full-Size-Dimensionen ist ein Preis zwischen 50.000 und 60.000 Euro nicht unrealistisch – insbesondere, wenn eine umfassende Serienausstattung und hohe Reichweite realisiert werden.

Fazit: Shanghai zeigt die Richtung – aber noch nicht das Ziel

Mit der dreifachen Premiere setzt Volkswagen ein klares Signal: Der Konzern will den chinesischen Markt nicht aufgeben, sondern sich neu erfinden – mit Tempo, Technologievielfalt und lokaler EntwicklungsvErantwortung. Die Studien sind dabei mehr als Designobjekte: Sie stehen für eine modularisierte, differenzierte und softwarebasierte Strategie. Ob sie die Wende bringen, wird jedoch nicht allein vom Auftritt auf der Messe abhängen, sondern von der Geschwindigkeit bei der Umsetzung, der Qualität der Software – und von der Fähigkeit, mit Marken wie BYD, Tesla und Nio Schritt zu halten. Volkswagen hat erkannt, dass der Markt in China längst kein Selbstläufer mehr ist. Das macht die in Shanghai gezeigten Modelle umso relevanter – nicht nur für China, sondern für die globale ID-Strategie insgesamt.