Weltpremiere Leapmotor B10: Technologieträger mit globalen Ambitionen

Zwischen E-Antrieb und Exportstrategie 

In einem zunehmend gesättigten Markt elektrischer SUV wagt Leapmotor mit dem neuen B10 einen internationalen Vorstoß, der nicht nur die etablierte Konkurrenz aus Europa und Korea herausfordert, sondern auch einen tiefen Einblick in die strategischen Ambitionen der chinesischen Automobilindustrie gewährt. Die Bühne dafür ist mit Bedacht gewählt: Auf der Shanghai Auto Show 2025 präsentiert sich der B10 als erstes global ausgerichtetes Modell der Marke. Noch vor seiner Verfügbarkeit auf dem deutschen Markt sorgt das Fahrzeug für Aufmerksamkeit – mit markigen Daten, auffälligem Design und einer Fülle an Technikversprechen. Was steckt wirklich dahinter?

Architektur und Antrieb: Neue Plattform, bekannte Technik 

Der Leapmotor B10 basiert auf der hauseigenen Leap 3.5-Plattform, die speziell für vollelektrische Fahrzeuge konzipiert wurde. Auffällig dabei ist die Integration der sogenannten CTC 2.0-Technologie – Cell-to-Chassis. Dabei wird die Batterie nicht wie üblich in einem Modulrahmen untergebracht, sondern direkt in die Fahrzeugstruktur integriert. Das soll nicht nur Raum sparen, sondern auch die strukturelle Steifigkeit erhöhen und gleichzeitig die Ladeleistung verbessern.

In der Version mit erweitertem Reichweitenkonzept (Range Extended Electric Vehicle, REEV) kombiniert Leapmotor einen batterieelektrischen Antrieb mit einem kleinen Verbrennungsmotor als Generator. Die offiziellen WLTP-Werte beziffern den kombinierten Energieverbrauch auf 20,5 kWh/100 km, ergänzt um einen zusätzlichen Kraftstoffverbrauch von 0,4 Litern pro 100 km. Daraus ergeben sich CO₂-Emissionen von 10 g/km – ein vergleichsweise guter Wert. Wird die Batterie entladen betrieben, steigt der Spritverbrauch allerdings auf 6,4 Liter, was in der CO₂-Klasse E mündet. Eine rein batterieelektrische Variante soll ebenfalls folgen, genaue Reichweitenangaben liegen jedoch noch nicht vor.

Digitales Cockpit: Intelligenz aus der Halbleiterwelt 

Im Innenraum setzt Leapmotor auf ein technisches Highlight, das besonders technikaffine Fahrer interessieren dürfte. Das digitale Cockpit basiert auf der Qualcomm Snapdragon 8155-Plattform – ein leistungsfähiger Prozessor, wie er derzeit vor allem in Premiumfahrzeugen verbaut wird. Kombiniert mit dem eigenen Betriebssystem Leapmotor OS 4.0 Plus verspricht der Hersteller ein intuitives Nutzererlebnis. Die Unterstützung von Apple CarPlay und Android Auto ist ebenso an Bord wie ein hochgradig personalisierbares Interface.

Besonders auffällig ist das Ziel, den Innenraum als Erlebnisraum zu positionieren – das Design wirkt auf den ersten Blick aufgeräumt, gleichzeitig dominiert eine durchgängige Displaylandschaft das Armaturenbrett. Ob diese Mischung aus Digitalität und Reduktion auch bei intensiver Nutzung überzeugen kann, bleibt offen, zumal bisher keine genaueren Angaben zur Verarbeitungsqualität und Haptik vorliegen.

Fahrverhalten und Technikpartnerschaft: Stellantis als Entwicklungspartner 

Ein weiterer Punkt, den Leapmotor betont, ist die Zusammenarbeit mit dem Stellantis-Konzern bei der Entwicklung des Fahrwerks. Diese Kooperation soll dem B10 ein besonders ausgewogenes Fahrverhalten ermöglichen. Details dazu bleiben allerdings vage. Der Verweis auf einen neu entwickelten Lenkwinkel-Algorithmus sowie ein integriertes Bremssystem klingt vielversprechend, doch ohne reale Fahreindrücke oder unabhängige Tests bleibt die tatsächliche Wirkung dieser Maßnahmen unbestätigt.

Kritisch hinterfragt werden muss zudem, inwieweit die Abstimmung wirklich auf europäische Fahrgewohnheiten und Straßenverhältnisse ausgelegt ist. Gerade chinesische Fahrzeuge zeigen in der Vergangenheit häufig Schwächen bei Dämpfungskomfort und Lenkpräzision – hier wird die Praxis zeigen müssen, wie weit Leapmotor tatsächlich gekommen ist.

Innenraum und Raumkonzept: Platz durch Integration 

Die CTC 2.0-Technologie ermöglicht durch die flache Batterieanordnung ein großzügigeres Platzangebot im Innenraum. In Kombination mit der kompakten Außenlänge eines C-SUV dürfte das vor allem den Fondpassagieren zugutekommen. Konkrete Angaben zu Radstand, Kofferraumvolumen oder Sitzkonfiguration liegen derzeit jedoch nicht vor. Ebenso fehlen Informationen zu optionalen Ausstattungspaketen oder Assistenzsystemen – auch wenn davon auszugehen ist, dass ein zeitgemäßes ADAS-System (Advanced Driver Assistance Systems) mit an Bord sein wird.

Preisgestaltung und Marktverfügbarkeit: Kampfansage an etablierte Marken 

In China startete der Vorverkauf des Leapmotor B10 am 10. April 2025 und konnte innerhalb einer Stunde über 10.000 feste Kundenbestellungen verbuchen. In Europa ist das Modell noch nicht erhältlich, die Homologation für den deutschen Markt steht aus. Erste Preise für den Heimatmarkt deuten jedoch auf ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis hin: Je nach Ausstattung beginnt der B10 in China bei umgerechnet etwa 22.000 Euro. Mit Blick auf den europäischen Markt dürften Importkosten, Zertifizierung und Vertriebsnetz den Endpreis allerdings deutlich erhöhen – realistisch erscheint ein Einstiegspreis im Bereich zwischen 28.000 und 32.000 Euro.

Wenn Leapmotor es schafft, dieses Niveau auch in Europa zu halten und gleichzeitig bei Sicherheit, Komfort und Verlässlichkeit überzeugt, könnte der B10 zu einer echten Alternative im kompakten E-SUV-Segment werden.

Einschätzung und Ausblick: Potenzial mit Fragezeichen 

Der Leapmotor B10 bringt einige technische Ansätze mit, die in dieser Preisklasse bislang nicht selbstverständlich sind. Die Kombination aus digitaler Plattform, batterieintegrierter Architektur und internationaler Entwicklungszusammenarbeit zeigt, wie ernst es chinesische Hersteller inzwischen mit dem Weltmarkt meinen. Dennoch bleiben viele Fragen offen: zur tatsächlichen Reichweite, zur Langzeitqualität, zur Ausstattung im Detail und zur Serviceinfrastruktur in Europa.

Auch wenn der B10 vorerst noch nicht in deutschen Showrooms steht, lohnt sich bereits jetzt ein kritischer Blick auf das Konzept. Sollte Leapmotor den hohen Anspruch an Technik und Design mit ebenso überzeugender Alltagstauglichkeit und Langzeittauglichkeit verbinden, könnte der B10 mittelfristig etablierte Anbieter wie Hyundai, VW oder MG unter Druck setzen.