Modellpflege beseitigt viele Fehler: Reichweite, Bedienung und Software verbessert
Volkswagen plante den ID.3 als elektrischen Golf-Nachfolger und musste vom Marktstart weg viel Kritik einstecken. Unfertige Software, OTA klappte initial noch nicht, verbesserungswürdiges Infotainment. Weitere Kritik gab es zur Haptik übe eine ungenügende Materialqualität und zu wenig Ausstattung für den Preis. Die Wolfsburger haben sich das Feedback von Kundinnen und Kunden zu Herzen genommen und nach etwas über zwei Jahren eine umfassende Modellpflege präsentiert. Wir konnten nun das Update des ID3 fahren und prüfen, wie weit der Stromer gereift ist.
Nach nur drei Jahren am Markt bringt Volkswagen das erste Facelift des ID.3
Die neue Front wirkt erwachsener und stilistisch gefestigt. Vor allem diese schwarze sehr breite Leiste („Tränensack“) zwischen der Scheibe und der Fronthaube entfällt zugunsten der vollständig in Wagenfarbe gehaltenen, geglätteten Haube. Das funktionslose Kunststoffelement fiel immer ins Auge und störte. Weiteren Feinschliff betreffen die Scheinwerfer. Der neu gestalteten Schürze samt Lufteinlässen ist eine Senkung des Luftwiderstandbeiwerts von cw-Wert 0,27 auf 0,263 zu verdanken. Ansonsten halten sich die Modifikationen beim Exterieur in engen Grenzen. Auch das Heck bleibt weitgehend unverändert.
ID.3 innen sichtbar aufgewertet
VW hat sich bei der Überarbeitung vor allem auf drei Bereiche fokussiert: Die Ladeleistung, Software-Optimierung und die generelle Materialqualität und Anmutung des Interieur. Das vollständig vegane und in beiden Sitzreihen für eine Kompaktklasse sehr geräumige Interieur zeigt sich nun in den entscheidenden Bereichen deutlich aufgewertet. Im Sicht- und Griffbereich, hier besonders bei den vorderen Türtafeln, aber auch bei der unteren Spange des Armaturenbretts, zeigt sich die Modellpflege. Hartes Plastik wurde an vielen Stellen verbannt. Die neue Oberflächenanmutung aus Materialien wie v.a. Stoff, Microfaserbezüge oder geschäumte Kunststoff-Oberflächen und Leder verfehlt nicht ihre optische und haptische Wirkung. Die Unterschiede sind dezent aber an den richtigen Stellen. Das Interieur erscheint nicht mehr ganz so dem Sparzwang untergeordnet. Vermisst haben wir zudem noch vier physische Tasten für die Fensterheber. Das ist immer noch sparen an der falschen Stelle.
Die Sitze gefallen mit fester Polsterung, und einem breiten horizontalen Verstellbereich. In der Vertikalen könnte der AGR-Sitz noch etwas weiter nach unten reichen.
Die erweiterte Mittelkonsole “High” punktet nun serienmäßig mit vier performanten und leistungsstarken USB-C-Steckplätzen, der Innenspiegel blendet serienmäßig automatisch ab, die Pedalerie im Play-und-Pause-Design ist immer an Bord. Auch der doppelte Ladeboden für den unverändert 385 Liter fassenden Kofferraum ist nun Serie. Mit einem Kofferraumvolumen von 385 Litern empfiehlt er sich nicht unbedingt für den Familienurlaub. Aber im Alltag genügt das im Allgemeinen. Zudem kann im Bedarfsfall die geteilte Rücklehne umgeklappt werden.
Das in der Handhabung und Bediengeschwindigkeit sehr unperformante Infotainmentsystem wurde durch Tuningmaßnahmen bei Software und Hardware deutlich verbessert. Trotzdem sind noch nicht alle Baustellen beseitigt. Volkswagen bittet noch um etwas Geduld. Beleuchtete Slider unter dem Bildschirm sind erst für 2024 angekündigt. Trotz zahlreicher Fixe und Updates ist das Infotainment-System immer noch eine Baustelle des ID.3. Für überzeugend besseren Klang sorgte im Testwagen eine optionale Beats-Soundanlage.
Unser Testwagen wurde mit dem Softwarestand 3.5 ausgeliefert. Das größere Display und die 4.0 Software (aus dem ID.7) wurden dem ID.3 weiterhin verwehrt. Die es dann erst bei der vollständigen Neuauflage geben. Mit dem Facelift des ID.3 werden zum ersten Mal „Functions on demand“ ausgerollt. Dies sind zubuchbare Optionen, die sich dann über OTA-Updates sich im Fahrzeug freischalten. Anfänglich sind dies folgende Funktionen wie Navi, ACC Abstandsregeltempomat, Zweizonen-Klimaanlage und eine auf 30 Farben erweiterte Ambientebeleuchtung.
Das ganze System präsentiert sich deutlich performanter. Der Ladeplaner verdient nun endlich seinen Namen. Das System berechnet sinnvolle Vorschläge zu Ladestopps vor und scheitert auch nicht an spontanen Routenänderungen. Der Travel Assist ist nun in der neuen Version mit „Schwarmdaten“ verfügbar und beherrscht nun auch Spurwechsel auf Blinker-Befehl.
Antrieb und Batterie
Den modellgepflegten ID.3 gibt es in der Version Pro und Pro S. Unverändert bleiben die beiden Batteriegrößen mit einer Kapazität von 58 und 77 kWh. Für den agilen Heckantrieb befindet sich der E-Motor an der Hinterachse und mobilisiert unverändert 150 kW (204 PS). Wer mehr leistung möchte muss zur GTX-Version des ID.3 greifen.
Die Maßnahmen zur Software-Pflege zeigen sich unter anderem in der optimierten Ladeplanung und der Möglichkeit, bestimmte Software-Features (ACC Abstandsregeltempomat, Zweizonen-Klimaanlage etc.) als Functions-on-Demand buchen zu können. Plug&Charge wird nun auch unterstützt.
In Sachen Verbrauch zeigt sich der Volkswagen-Stromer genügsamer als bisher. Den ID.3 konnten wir gemäß Bordcomputer trotz winterlicher Kühle und Winterbereifung zwischen 15 und 20 kWh je 100 Kilometer bewegen. Die 77kWh-Batterie reicht im kombinierten Drittelmix gem. WLTP für eine Reichweite von 575 Kilometer, wenn der Akku zu 100 Prozent geladen ist. Auf der Autobahn und kühler Witterung reduziert sich die Reichweite auf gut 370 Kilometer.
Eine der neuen Softwarefeatures ist das Plug & Charge, dass Ladevorgänge bei vorheriger Anmeldung bei Anbietern wie Ionity oder auch Aral Plus Charge die Authorisierung des Ladevorgang zu vereinfachen vermag. Die AC Ladeleistung beträgt dreiphasig 11 kW (AC). An einem DC-Charger schafft der ID3 mit dem großen 77kWh-Akku laut Herstellerangaben bis zu 170 kW. Das ist eine C-Laderate größer 2. In der Spitze lädt der ID.3 sogar einige kW mehr. Damit läßt sich der 77 kWh große Akku unseres Testwagen ID. 3 Pro S innerhalb von 30 Minuten von fünf auf 80 Prozent füllen. Allerdings wird das nur unter idealen Bedingungen in Bezug auf Batterie-Temperatur und State of Charge (SoC) erreicht. Ansonsten bleibt die Ladeleistung massiv unterhalb der versprochenen Peak-Ladeleistung. Die MEB-Plattform auf 400 V-Basis setzt hier zudem enge Grenzen. In der Folge dauert ein Ladevorgang dann deutlich länger. Wir hatten bei kalter Witterung und einem SoC von 24% und einer längeren Fahrt immerhin auf Anhieb 140 kW geschafft. Praktisch ist hier auch die mögliche Vorkonditionierung des Akkus.
Bidirektionales laden nur über teure DC-Wallbox
Der ID3 beherrscht bidirektionales Laden nur über Gleichspannung (DC). D.h. dass er nur über eine teure DC-Wallbox seinen Strom abzugeben vermag. Die dazu passende Wallbox ist noch gar nicht richtig im Handel angekommen. Die einfachen AC-Systeme (V2L – Vehicle to load) von MG, Hyundai und Kia sind wesentlich preiswerter und als mobile 220 V Notstromversorgung über Typ2-Adapter bis max. 3,0 kW viel praktikabler. Es bleibt spannend, ob VW hier die neue Industrienorm setzt und sich das System durchzusetzen vermag. Bidirektionales laden kann in vielerlei Hinsicht noch spannend werden. Über dynamische Stromtarife, Überschussladen und dergleichen mehr.
Fahreigenschaften
Im Bereich Fahrwerk hat sich mit der Modellpflege nicht viel getan. Die Abstimmung war hier schon hervorragend. So präsentiert sich auch der ID3 bezüglich Fahrwerk und Lenkung sehr harmonisch abgestimmt.
Das optionale Adaptivfahrwerk (DCC) schafft es selbst auf schlechten Untergrund und Autobahnwellen und Querfugen mit den aufgezogenen 20 Zöllern ein sehr angenehmes Komfortniveau zu ermöglichen. Eine schnelle Kurvenhatz läßt sich mit der richtigen DCC-Einstellung auch ausgesprochen sportlich angehen.
VW hat den ID3 gut gedämmt. Selbst auf der Autobahn bleibt der Stromer auch bei hohen Tempi angenehm leise. Weder das Arbeitsgeräusch des E-Motors noch Windgeräusche dringen übermäßig nach innen. In der Stadt gefällt beim Rangieren der kleine Wendekreis von gerade einmal 10,2 Metern. Hier macht sich der große Einschlagwinkel der Räder positiv bemerkbar. Verzögern läßt sich der ID3 mittels Rekuperationsfunktion (Fahrstufe „B“), echtes One-Pedal-Driving ist aber weiterhin nicht möglich. Genügt dies nicht, kommt beim Verzögern die mechanische Bremse mit Trommelbremsen an der Hinterachse zum Einsatz. VW hat sich bewusst für Trommelbremsen entschieden, die zudem kein Problem mit Flugrost haben. Kritik verdient einzig der lange Pedalweg beim beherzten scharfen Bremsen. Die Verzögerung ist gut.
Die Verkehrszeichenerkennung – und das ist nicht selbstverständlich – läuft vorbildlich. Zudem integriert der adaptive Tempomat die Information, um auf Geschwindigkeitsbeschränkungen zu verzögern. Dies entlastet den Fahrer vor allem auf Autobahnen enorm. Funktionell neu kommt beim ID. 3 die „Schwarmintelligenz“ sowie „aufgezeichnete Parkvorgänge“ (Memory Parking), hinzu.
Technische Daten VW ID.3 Pro S (4-Sitzer) 150kW/204 PS - 77 kWh Batterie MJ 2024
Hersteller: Volkswagen
Karosserie: Kompaktklasse 5-türig
Motor: Elektromotor (flüssigkeitsgekühlte Synchronmaschine)
Emissionsklasse: AX
Getriebe 1-Gang-Automatik
Antrieb Hinterradantrieb
Leistung: 150 kW / 204 PS
Drehmoment: 310 Nm
Batterietyp: Lithium-Ionen
Netto-Batterieenergieinhalt: 77 kWh
Brutto-Batterieenergieinhalt: 82 kWh
Elektrische Reichweite (WLTP): 575 km
Ladeleistung AC: 11 kW - 3phasig (16 A)
Ladeleistung DC: 170 kW
Von 0 auf 100: 7,9 s
Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
Energieeffizienzklasse:
A+
Verbrauch (ECE): 14,9 kWh/100 km
CO2-Ausstoß: 0 g/km
Wendekreis: 10,2 Meter
Leergewicht: 1.951 kg
Zuladung: 339 kg
Kofferraum: 385 bis 1.267 Liter
Zuladung: 541 kg
Länge/Breite/Höhe/Radstand: 4.264/1.809/1.564 /2.770 mm
Versicherungsklassen KH/VK/TK 14/18/20
Garantie Fahrzeug/Rost: 2 / 12 Jahre
Garantie Batterie: 8 Jahre, 160.000 km, 70%
Preise ab: 47.595,00 Euro
Testwagenpreis brutto inkl. Extras: 59.745 Euro
Die Preise beginnen bei 39.995 Euro
Der geliftete ID3 wird zum Modelljahr 2024 mit der kleineren der beiden Batterien (58 kWh) und 150 kW Systemleistung ab 39.995 Euro angeboten. Das sind 4.000 Euro weniger als die bisher vorkonfigurierten Modelle. Über den Kunstgriff der kleineren Batterie kaschieren die Wolfsburger die Preissenkung. Der Kunde erhält dafür eine erweiterte Serienausstattung mit 12-Zoll-Monitor, USB-C-Anschlüssen und einem Lenkrad aus veganem Leder.
Noch 2021 hatte Volkswagen mit dem ID.3 Pure schon einmal ein Einsteigermodell mit 45 kWh-Batterie im Sortiment. Der Brutto-Listenpreis vor Förderung betrug seinerzeit 31.500 Euro. Der Pure hatte eine WLTP-Reichweite von bis zu 351 km. Aufgrund der Chipkrise wurde das Fahrzeug wieder aus dem Konfigurator entfernt.
Bis zur Einführung des ID.3 GTX kommt dem von uns gefahrenen ID.3 Pro S mit dem 77-kWh-Akku für 47.595 Euro die Rolle des Topmodells zu. Bei der Version sind zusätzliche ergoActive-Sitze und Leichtmetallräder in 19 Zoll Bestandteil der Serienausstattung. Nach dem abrupten Ende der staatlichen Umweltprämie gewähren die Wolfsburger ihren Kunden eine bis zum 31.03.2024 befristete herstellerseitige (freiwillige!) Umweltprämie, um die Verkäufe der ID-Modelle anzukurbeln. Damit sinkt der Basispreis des ID.3 Pro auf 32.975 Euro und der des Pro S auf 42.240 Euro. Der Vorverkauf ist bereits gestartet. Zu den ersten Kunden dürfte das Facelift im Spätsommer 2023 gelangen. Die Wartezeit soll aktuell deutlich weniger als 9 Monate betragen.
Unser Testwagen erhöht sich über die Extras auf einen Listenpreis vor dem freiwilligen Herstellerrabatt der “Volkswagen Umweltprämie” auf 59.745 Euro. Die aufpreispflichtigen Optionen sind eine Lackierung in Dark Olivine Green Metallic Schwarz (860 Euro), LM Felgen 20 Zoll Sanya mit AirStop-Reifen (625 Euro), Interieur-Paket „Plus“ Dunkel (2.710 Euro), Exterieur-Paket „Plus“ (2.665 Euro), Textilfußmatten vorn und hinten (125,00 Euro), Assistenzpaket „Plus“ inkl. „IQ.Drive“ mit „Travel Assist“ (2.245 Euro), Automatische Distanzregelung ACC „stop & go“, mit Geschwindigkeitsbegrenzer (320 Euro), Komfortpaket inkl. Telematik-Box als Vorbereitung zur freiwilligen Ausleitung und Analyse von Fahrzeugdaten (1.355 Euro), Netzladekabel für Haushalts-Steckdose (175 Euro), Wärmepumpe zur Reichweitenoptimierung (990 Euro) und last but not least ein herausnehmbarer Gepäckraumboden (80 Euro).
Fazit: Deutlich besser als Vorfacelift! Aber auch gut genug?
Mit dem Facelift möchte VW die gröbsten Patzer der Vergangenheit beseitigt haben. Der nachgeschärfte VW ID3 musste sich in unserem Fahrbericht beweisen und konnte seine neuen Qualitäten gut unter Beweis stellen. Nachdem die Einführungsversion des ID.3 noch viel Kritik hatte einstecken müssen, hat Volkswagen inzwischen sich der Kritik angenommen und Ende 2023er ein umfangsreiches Facelift veröffentlicht, dass nun bestellbar ist. Die Wolfsburger haben dabei vieles an der richtigen Stelle gut gemacht und beispielsweise das Interieur wertiger gestaltet. Auch wenn es an vielen kleinen Stellen immer noch den einen oder anderen Optimierungsbedarf gibt, so ist der ID3 doch bereits jetzt zu einem guten BEV gereift, dass sich ggü. dem Wettbewerb nicht zu verstecken braucht.
Sollte die Rabatt-Aktion Ende März tatsächlich ersatzlos enden, wird dem ID3 vor allem eine preisreagible Nachfrage im Weg stehen. Das Problem bei VW ist, dass sie den ID3 nicht viel günstiger hinbekommen und zudem eine nur kleine bis gar keine Marge mehr haben. Die Kostenseite ist das große Problem bei VW.
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